Twitters schmutziges Geheimnis
Warum wir am Ende doch auf Twitter bleiben und warum Gewalt gegen Pixel Spaß macht.
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Warum wir wirklich auf Twitter sind
Ein lesenswerter Text von Ekkehard Knörer fasst im “Merkur” noch einmal die Saga der Twitter-Übernahme durch Elon Musk zusammen und kontextualisiert diesen Vorgang in der Mediengeschichte der Gegenwart. Knörer beschreibt Twitter als Ort, wo sich eine politische Öffentlichkeit ausgebildet hat, “die nicht nur Jürgen Habermas starkes Unbehagen bereitet”. Dabei werden die Eigenarten der Plattform, die bei aller Ähnlichkeit zu anderen Plattformen immer rätselhaft geblieben ist, eingängig beschrieben:
“Twitter ist ein Forum für sehr viele Stimmen, dabei aber seit Jahren schon fest verkoppelt mit den Massenmedien und ihren Protagonistinnen und Protagonisten, die als Akteure wie als Beobachter der Plattform agieren. Ein Medium, das Leben zerstören und Karrieren anstoßen kann, eine Versammlung von anonymen und verifizierten, von außerhalb der Twitter-Sphäre bekannten und unbekannten, von privaten, zivilgesellschaftlichen und staatlichen Sprecherinnen und Beobachterinnen. Ein Medium, das wie alle Medien Öffentlichkeit herstellt, dabei von denen, die sich darin äußern und darin auftreten, immer gleich beobachtet wird, ein System, in dem es dieser Selbstbeobachtungen und Selbstthematisierungen wegen ständig zu Kurzschlüssen, Eskalationen und operativen Schließungen kommt.”
Knörer geht auch auf die Plattform Mastodon ein, die in den letzten Monaten als Alternative zu Twitter an Bedeutung gewonnen hat. Auch ich habe dort einen Account, und in diesem Zusammenhang ist es vielleicht Zeit für eine kurze persönliche Zwischenbilanz: Ich muss zugeben, dass ich mich inzwischen immer weniger dort aufhalte. Meine Timeline wirkt sehr ruhig, oft etwas zu ruhig. Andere haben sich sicherlich etwas aufgebaut, aber mir fehlen an Mastodon gerade die Dinge, die mich an Twitter stören. Das mag daran liegen, dass die Plattform, wie es im “Merkur”-Text heißt, als “Anti-Twitter” entworfen wurde: “Seine Algorithmen sind gegen Viralität, steile Thesen und die Maximierung von Reaktion und Aufmerksamkeit konzipiert.”
Die Lautstärke auf Mastodon wirkt konstant gedimmt. Das vermeidet (wenn auch nicht immer) die Dramen und die Dramatik, die Twitter am laufenden Band produziert. Man hat den Eindruck, dass es auf Mastodon schwer wäre, einen täglichen ‘Main Character’ zu erzeugen, der ein kollektives Spottereignis hervorbringt, an dem sich viele Menschen beteiligen. Kein Bean Dad, kein Couch Guy, kein Bad Art Friend. So erscheint die Plattform tatsächlich netter und weniger belastend, aber ihr fehlt die Energie des kollektiven Erzählens, die den Reiz Sozialer Medien bestimmt (Ich habe hier darüber geschrieben).
Es ist das (schmutzige) Geheimnis des Erfolgs einer Plattform wie Twitter, dass sie die oft unterschwelligen kommunikativen Bedürfnisse einer Kultur befriedigt. Offizielle sind wir entsetzt von der Gemeinheit und Härte, die auf einer solche Plattform herrschen kann. Es gehört zur Selbsterzählung von Vielnutzer:innen, unter dem Ort, wo man all seine Zeit verbringt, lautstark zu leiden. Ich kenne so gut wie keine Twitter-User:in (mich eingeschlossen), die nicht immer wieder beteuert, dass es gut wäre, bald auszusteigen. Nicht umsonst ist ein beliebter Ausspruch auf Twitter, dass man rausgehen und das Gras anfassen oder das Fenster mal auf Kipp stellen soll.
Sophie Passmann hat gerade in der Zeit einen Text darüber geschrieben, warum sie ihren Account auf Twitter gelöscht hat. Der Text ist keine reine Anklage gegen die Aggression, die sie dort erlebt hat, sondern auch eine Art Geständnis der eigenen Aggressionen, die dort ausgelebt wurden. Ich finde die Konzentration auf den Hass, der auf Twitter herrschen soll, zwar zu einseitig in der Beschreibung der ja oft auch sehr kooperativen und liebevollen Kommunikation, aber hellsichtig, was die eingebauten Dynamiken der Plattform angeht: “Auf Instagram oder TikTok”, schreibt Passmann, “passiert das inhaltliche und sprachliche Hochschaukeln allein deswegen schon nicht, weil es in der Architektur des sozialen Netzwerkes nicht angelegt ist, alle Postings zu einem Thema auffinden und damit vergleichen zu können.”
Gleichzeitig sind die Dinge, die Twitter so unerträglich erscheinen lassen, eben auch die, die es unwiderstehlich machen. Die hohe Dramatik der Kommunikationsereignisse verspricht eine ähnliche Immersion wie süchtig machende Serien; die Interaktivität dieser Kommunikation ist belebend wie die besten Videospiele. Dass es um das Schicksal und die Emotionen echter Menschen geht, macht diese Form der medialen Betätigung zwar ethisch äußerst fragwürdig, baut aber auch eine faszinierende Fallhöhe auf. Und diese Fallhöhe wird gleich wieder relativiert durch die Distanz, die der virtuelle Raum erzeugt. Dark Participation ist vielleicht nicht die beste Form der Partizipation, aber sicherlich die am meisten belebende.
Auf diese Form des Kommunikationsdramas naserümpfend herunterzuschauen, beruht auf dem Missverständnis, dass es bei Kommunikation um den respektvollen Austausch von Informationen oder Argumenten geht, und nicht um das Aushandeln von Macht und die Ästhetisierung von Weltwahrnehmung. Eine Plattform wie Mastodon, wo respektvoller Austausch das Ziel ist, wird immer eine Nische bleiben, weil nur ein kleiner Teil der kommunikativen Bedürfnisse von Menschen dort befriedigt wird - eben die Bedürfnisse, die man offiziell bereit ist zuzugeben.
Ein guter Webcomic
Gewalt gegen Pixel
Kann aus einem Videospiel jemals ein guter Film werden? Diese Frage wird schon lange diskutiert; die misslungenen Versuche sind oft spektakulär und beweisen scheinbar, dass die Transformation eigentlich nicht möglich ist. Ein Beispiel, das in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird, ist der Film “Super Mario Bros.” von 1993, den der Hauptdarsteller Bob Hoskins im Nachhinein einen “fucking nightmare” nannte, aus dem er sich am liebsten herausschneiden lassen würde. Der Film steht in vielfacher Hinsicht stellvertretend für die schiere ästhetische Hilflosigkeit, mit der viele Videospiel-Adaptionen gemacht wurden.
Jetzt wird allerdings die neue HBO Serie "The Last of Us" als Triumph des Quality TV gefeiert. Dabei wird immer wieder darauf verwiesen, dass es nun endlich gelungen sei, ein würdevolles filmisches Narrativ aus einem Spiel zu machen. Dieser lesenswerte Essay geht vor allem auf das Verhältnis der beiden Seiten der Produktion ein, auf den Game-Entwickler Neil Druckmann ("The Last of Us", "Uncharted") und den Showrunner Craig Mazin ("Chernobyl"). Im Text geht es um die Erwartungen und Ängste, die mit solche einer Adaption verbunden sind.
Ich habe mich bei der Lektüre gefragt, ob es nicht eine mediale Arbeitsteilung gibt, die solche Projekte eigentlich verbietet. Dann wiederum gibt es schon länger eine Tradition sehr gelungener Game-Adaptionen von Filmen, warum also nicht umgekehrt? Eine Sache, die mich daran stört, ist die zufriedenen Ernsthaftigkeit, mit der ein Spiel wie "The Last of Us" sich selbst nobilitiert. Die Vorstellung, dass die extrem elaborierte Videospielgewalt eigentlich die Funktion hat, Gewalt anzuklagen, ist sehr hochkulturell gedacht. Im New-Yorker-Essay heißt es:
“Der Wechsel zum Fernsehen ermöglichte auch einen anderen Umgang mit Gewalt. Druckmann hatte immer beabsichtigt, dass die Brutalität des Spiels eher verstörend als anregend wirken sollte, aber in einem Medium, in dem das Töten eine primäre Form der Beschäftigung ist, können sich die Spieler an die Kosten gewöhnen. Wie Mazin erklärt: ‘Wenn man einen Abschnitt spielt, tötet man Leute, und wenn man stirbt, wird man zum Kontrollpunkt zurückgeschickt. All diese Leute sind wieder da und bewegen sich auf dieselbe Weise.’ Ab einem bestimmten Punkt werden sie als Hindernisse wahrgenommen, nicht als Menschen. In der Serie hätten solche Begegnungen mehr Gewicht: ‘Ich denke, einen Menschen sterben zu sehen, sollte etwas ganz anderes sein als Pixeln beim Sterben zuzusehen.’“
Die wertende Unterscheidung von Film und Game wird hier deutlich etabliert: Pixel oder Person. Das eine hat weniger Gewicht als das andere. Das hat damit zu tun, dass man um jeden Preis leugnen möchte, dass die Gewalt hier wie dort der Unterhaltung dienen könnte, denn das wäre dann nicht mehr ernsthaftes "storytelling". In Games dient Gewalt ganz selbstverständlich der Unterhaltung. Das zeigt zum Beispiel die berühmte ludonarrative Dissonanz in den "Ucharted"-Spielen, in denen der liebenswerte Protagonist in spektakulären Shootouts hunderte von Menschen über den Haufen schießt. Gameplay steht vor Story.
Dann wiederum könnte man durchaus argumentieren, dass auch populäre Filme von dieser Dissonanz leben. Indiana Jones, das filmische Vorbild von “Uncharted”, lebt von einem ähnlich entspannten Verhältnis zu den zahlreichen Morden seiner Hauptfigur. Die Frage wäre, ob man in dem Moment, in dem man sich auf ein ernsthaftes Konzept des hochkulturellen Storytellings versteift, nicht auch den Rezeptionsvorgang verzerrt, der auch bei Filmen, Romanen oder Serien vielleicht näher an der spielerischen Art der Identifikation liegt, wie wir sie von Videospielen gewöhnt sind.
Dass die Trennung dieser Sphären auch etwas Prätentiöses haben kann, zeigt dieses Video aus der Serie “Saturday Night Life”, das das Problem der Videospiel-Verfilmungen wieder an ihren Ursprung führt.
Wie viele Gedichte habt ihr geschätzt in eurem Leben geschrieben?
Von der Anzahl der Antworten, aber auch der Anzahl der Gedichte war ich schon ziemlich überrascht.
Die guten Texte
1974 streakte Robert Opel die Oscarverleihung live im Fernsehen. Dieser lesenswerte Essay erzählt von seinem Leben als Aktivist nach diesem Ereignis.
Die Frühphase der Amerikanischen Revolution war geprägt von Paranoia, Verschwörungstheorien und Gewalt. Ein Mann, der diese Paranoia politisch zu nutzen wusste, war Samuel Adams, über den nun eine neue Biographie erschienen ist.
Juli Zehs neuer Roman ist mal wieder nicht gut. Warum das so ist, wird auf 54books plausibel und lehrreich analysiert.
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Die guten Tweets


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