Warum sind wir gemein zueinander im Internet?
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Dunkle Partizipation
Warum sind Menschen gemein zueinander im Internet? Diese Frage durchzieht in verschiedenen Formen den medienethischen Diskurs der Gegenwart. Fast könnte man sagen, dass sie die Diskussion über den Medienwandel der Digitalisierung inzwischen bestimmt. Nun ist jeder Medienwandel auf eine besondere Art unglücklich und es wäre sicherlich einfach, für alle historische Übergänge von einem Medium zum nächsten, ähnliche Klagen über einen Zusammenbruch der öffentlichen Höflichkeitsformen zu finden. Hat nicht schon die Erfindung der Schrift zu mehr Grobheit geführt, weil sie die disziplinierende Nähe der Face-to-Face Kommunikation etc. Die Neuordnung der Teilhabe an Öffentlichkeit führt eigentlich immer zu Nervosität, will sagen: Je mehr Menschen sich am anarchischen Geschnatter der Öffentlichkeit beteiligen können, desto öfters kracht es.
Allerdings kann man durchaus spezifische Formen von medienethischen Unfällen für den Prozess der Digitalisierung feststellen. Insofern ist die Frage, warum Menschen gemein zueinander im Internet sind, nicht unberechtigt. Selbst, wenn man darauf verweisen kann, dass Menschen auch ohne Internet genug Möglichkeiten finden, gemein zueinander zu sein, gibt es spezifisch digitale Formen der Unhöflichkeit, die es sich zu untersuchen lohnt. Gerade haben Christine Watty und ich für den Deutschlandfunk ein Feature zum Thema "Toxisches Publikum. Journalismus in Zeiten der digitalen Öffentlichkeit" produziert, das man hier nachhören kann. Darin haben wir Wissenschaftler*innen und Journalist*innen befragt, wie es dazu kommen konnte, dass die frühen Hoffnungen darauf, dass ein harmonisches Verhältnis von Medien und Publikum den Journalismus verbessern würde, so enttäuscht wurden.
Samira El Ouassil hat im Gespräch auf das Konzept "Dark Participation" hingewiesen, das der Medienwissenschaftler Thorsten Quandt in den Diskurs eingeführt hat. Diese "Dunkle Partizipation" ist das Gegenbild der Utopie einer harmonischen Partizipationskultur des Internets. Quandt zeigt in seinem Beitrag deutlich, dass diese Utopie natürlich nur ein Konstrukt war, das für eine Enttäuschung fast zwangsläufig in Stellung gebracht wurde. Man darf demensprechend auch nicht in die traditionsreiche Schadenfreude verfallen, mit der die Wirkungshoffnungen technischer Innovationen ja eigentlich immer begrüßt wurden. Schon als der erste Mensch von einem Auto angefahren wurde, muss ein Kulturkritiker daneben gestanden, und gerufen haben: Told you so!
Allerdings handelt es sich bei "Dark Participation" trotzdem um einen Begriff, der sich gut dazu eignet, das konkrete Problem digitaler Öffentlichkeit zu beschreiben. Die ungeheure Partizipationskultur ist eine der wichtigsten Folgeerscheinung der Digitalisierung, und als solche zunächst einmal auch positiv zu betrachten. Der ungeheure Energieschub, der insgesamt durch die Ausweitung der Teilhabe am öffentlichen Leben ausgelöst wurde, kann in seiner Wirkung auf die Kultur kaum hoch genug eingeschätzt werden. Und es wäre eher verwunderlich, wenn das nicht auch zu Problemen und Verwerfungen geführt hätte.
Eine dieser Verwerfungen ist jedenfalls der Mangel an Zivilität, der in der Online-Kommunikation öfters zu beobachten ist. Ein Grund dafür könnte das Gefühl sein, dass der digitale Austausch sich zuweilen weniger real anfühlt als andere Formen der Kommunikation. Die mediale und soziale Voraussetzung für diesen Sonderstatus ist eine fragile digitale Epistemologie, in der ein Konstrukt der Virtualität dazu dienen kann, Verantwortung für die eigenen Äußerungen abzugeben.
Katherine Cross führt in ihrem brillanten Aufsatz Ethics for Cyborgs den Umstand dieser Unrealität ("unreality") an, um die teilweise extrem gewaltvolle Belästigung vor allem von Frauen in der Gaming Community zu erklären. Nicht die Anonymität, die sonst immer als einer der Hauptgründe dafür genannt wird, dass Menschen im Internet ihren Anstand verlieren, sondern ein Gefühl von Unrealität ist die Ursache, dass man den Zielen der Aggression eine Art Semi-Fiktivität zuschreiben kann:
"In der Gaming Kultur gibt es ein einzigartiges Möbiusband aus Realität und Irrealität - ein zweiseitiges und doch einseitiges System von Normen. Die Kultur wird real, wenn es gerade passt, und unwirklich, wenn nicht. Sie ist real genug, um Menschen zu verletzen, und unwirklich genug, um dies zu rechtfertigen. Wir dürfen aber nicht mehr zulassen, dass das "Es ist nur das Internet"-Denken die notwendigen Mechanismen der Rechenschaftspflicht, die gutes Verhalten fördern, verhindert."
Es ist dann eben ‚nur’ das Internet, Dinge die hier geschehen, erscheinen weniger real. Es handelt sich um eine Weltsicht, die Cross folgendermaßen zusammenfasst: "Im Internet gibt es keine Menschen, nur Pixel; keine Gesellschaft, nur Websites und Foren." Dieser Befund lässt sich auf den gesamten Bereich der digitalen Öffentlichkeit übertragen. Die Entrealisierung von Personen, die zum Opfer von Gemeinheiten werden, beruht auf einer schwammigen Vorstellung des virtuellen Raumes als Ort der Verantwortungslosigkeit. Das gilt natürlich nicht für alle Räume des Internets, erklärt aber vielleicht die spezifisch verstörende Form der kommunikativen Unfälle, die sich nach wie vor millionenfach ereignen. Die Hoffnung, die man hegen kann ist, dass sich diese Fehleinschätzung dessen, was Virtualität bedeutet, irgendwann auflösen wird, wenn also digitale und analoge Gemeinheiten in eine Kategorie fallen - wo sie auch hingehören.
Ein gutes Webcomic
Die guten Texte
Experimentelle Filmemacher finanzieren ein Festival mit dem Geld des Silicon-Valley-Dunkelmanns Peter Thiel - eine absurde Geschichte über Macht, Geld und Kunst in der Gegenwart. Die Anzahl der Milliardäre ist in den letzten Jahren explodiert. Warum das naheliegenderweise nicht so gut ist, kann man hier nachlesen. Und wo wir schon bei Geld sind. Diese Geschichte eines Milliardärs, der sich ein Umfeld aus Denker*innen kauft, verweist noch einmal deutlich darauf, was passiert, wenn das Publikum und der Staat sich von der Finanzierung geistiger Arbeit abwenden.