Das neue “Bio”-Siegel der Literatur?
Der Anti-K.I.-Backlash ist in vollem Gange. Gerade wurde bekannt, dass der Verlag Faber das neue Buch von Sarah Hall mit dem Stempel “Human Written” ausliefern wird (Hinweis Magda Birkmann). Es muss sich zeigen, ob das Schule macht; die Strategie verweist allerdings auf die ängstliche Aufwertung einer spezifisch menschlichen Ästhetik im Zeitalter künstlicher Intelligenz. “Menschengemacht” könnte das neue “Bio”-Siegel der Literatur werden. Dazu passt, was ich vor kurzem in einem Essay über die massenhafte K.I.-Aneignung der Ghibli-Ästhetik des Regisseurs Hayao Miyazaki, und das Entsetzen, das sie ausgelöst hat, geschrieben habe: Die Drohung einer kunstmachenden Maschine rückt den kunstmachenden Menschen ins Zentrum einer heroischen Widerstandserzählung, die den anthropozentrischen Aspekt künstlerischen Schaffens beteuert. Echte Kunst ist demnach nur noch das, bei dem ein Mensch Hand angelegt hat - ohne die Zusatzstoffe, die Gentechnik oder die Chemie der K.I.
Dazu passt auch, dass der Carlsen-Verlag gerade gegen die in den Sozialen Medien ausgesprochen beliebten Conni-Memes vorgegangen ist. Titus Blome berichtet in seinem Text für “Zeit Online”: “Conni auf dem Bauernhof, Conni backt Pizza, oder Conni hat Geburtstag heißen üblicherweise die banal-alltäglichen Geschichten, mit denen die Autorin Liane Schneider und die Illustratorin Eva Wenzel-Bürger Kleinkinder und vorlesende Eltern gleichermaßen effektiv in den Schlaf langweilen. Das Buchcover zeigt stets eine repräsentative Szene aus dem jeweiligen Band, von denen es inzwischen mehr als 100 gibt. Durch kleine Bildabwandlungen und einen neuen Titel werden aus diesen Covern im Internet Memes: Conni schreit den Schiri an, Conni redet nicht mit den Cops, Conni hinterzieht Steuern, Conni begeht schweren Arbeitszeitbetrug und so weiter.”
Der Witz dieses Memes beruhte darauf, die harmlose Vorlage der Kinderbuchreihe in einen unpassenden Kontext zu bringen. Conni begeht eben keinen “Arbeitszeitbetrug”, sie ist ein Kind, und ein braves noch dazu. Der Verlag versuchte in seiner Stellungnahme und der nachgeschobenen Klarstellung (“Conni will da mal was klarstellen”) den naheliegenden Zorn der Netzgemeinde zu besänftigen. Vorgehen wolle man vor allem gegen “menschenverachtende, rassistische, gewaltverherrlichende und pornografische Verwendungen der Conni-Figur.” Diese Klarstellung sorgte dann teilweise für großen Applaus - wer würde es nicht begrüßen, wenn rassistische Conni-Memes bekämpft werden.
Das Ziel, die Kontrolle über das eigene Urheberrecht zurückzugewinnen, dürfte der Verlag trotzdem erreicht haben. Das Risiko, dass eine Verwendung von den Carlsen-Anwälten als “menschenverachtend” wahrgenommen wird, wird kaum jemand noch auf sich nehmen wollen. Schon die Aufforderung, ein Bild zu entfernen, kann sehr teuer werden und die zahlreichen Memes, die Conni als bullenhassende barrikadenkämpfede Linke zeigen, könnten, je nach Definition als “gewaltverherrlichend” gedeutet werden. Der Humor des Memes beruhte gerade darauf, die extrem harmlose Vorlage mit nicht-harmlosen Dingen (Steuerbetrug, Kampf gegen die Cops, Schiri anschreien) zu konfrontieren. Die meisten Verwendungen sind schon rein strukturell eben nicht “harmlos”, wie der Verlag in seiner Stellungnahme unterstellt. Es ist gerade der Mangel an Harmlosigkeit, der das Pattern attraktiv macht.
Auch im Fall der Conni-Memes geht es das Konzept der Werkherrschaft, das im digitalen Zeitalter vor neue Herausforderungen gestellt wird, die jetzt durch den Aufstieg von K.I. noch einmal eskalieren. Das Erstellen der Memes wurde durch Bildgeneratoren extrem einfach, erfordert nun - außer einer Idee - wirklich gar keine Eigenleistung mehr. Bereits die Tatsache, dass im “vermeintlich rechtsfreien Social-Media-Raum” (Blome) mit geschütztem Bildmaterial gespielt wird, ist ein Angriff auf die Werkherrschaft der Urheber. Hier kann man die Kontrolle über eigene Bilder und Texte schnell verlieren. Ein Beispiel für eine katastrophale ästhetische Enteignung ist die Figur “Pepe the Frog”, die gegen den Willen des Künstlers zu einem Erkennungszeichen des zeitgenössischen Rechtsradikalismus wurde. Im Jahr 2016 wurde Pepe von der Anti-Defamation League als “Hasssymbol” in einer Datenbank geführt - eine schlimmere Form der künstlerischen Enteignung kann man sich kaum vorstellen.
Es sind solche Extremfälle verlorener Werkherrschaft, die die teils paranoiden Ängste vor dem ästhetischen Kontrollverlust erklären können, die gerade kursieren. Was, wenn Conni zu einem Wahrzeichen der neuen Rechten werden würde? Die Vorstellung ist nicht ganz abwegig. Die neuen Möglichkeiten der Ghiblifizierung hatten direkt zu scheußlichen Formen rechtsradikaler Instrumentalisierung geführt. Die Entmachtung, die mit dieser Form der Aneignung einhergeht, droht einen Stil dermaßen zu kontaminieren, dass er am Ende zerstört wird. Liegt es da nicht nahe, dass eine etablierte Institution der Werkherrschaft wie ein Verlag sich mit besonderer Wachsamkeit gegen mögliche Kontrollverluste abschirmt?
Das Problem, das mit dieser Wachsamkeit verbunden ist, lautet: Die Stärke einer Werkherrschaft geht mit einer Schwäche der Adaptionsfähigkeit einher. Je mehr Kontrolle Verlag und Autor:innen über einen Ästhetik haben, desto weniger Gestaltungsmöglichkeiten haben Rezipient:innen natürlich, damit zu spielen. Das Problem betrifft alle Bereiche, in denen es zu Konflikten zwischen Autor und Publikum kommen kann - Bereiche wie Fanfiction, Memes oder K.I. Wer nun dem Verlag Anerkennung zollt, weil dieser der freien Verwendung seiner Werke einen Riegel vorschiebt, der unterstützt damit auch eine Einschränkung des kreativen Umgangs mit diesen Werken. Es handelt sich um ein Aushandlungsproblem, das gerade in Zeiten, in denen eine Ästhetik mit wenigen Mausklicks verwendet werden kann, besonders virulent wird.
In eigener Sache
Vor einer Woche habe ich der “tageszeitung” ein Interview zu meinem Buch “Wut und Wertung. Warum wir über Geschmack streiten” gegeben. Das Buch kann man überall bestellen, am besten natürlich hier. In der letztes Ausgabe dieses Newsletters habe ich über den Skandal um das Buch “Der Salzpfad” berichtet, das 2018 ein weltweiter Bestseller wurde und gerade aufwändig verfilmt wurde. Ein Artikel im “Observer” erhob nun schwerwiegende Vorwürfe gegen die Wahrhaftigkeit des Buches. Im BR habe ich ein kurzes Interview zu dem Fall gegeben (ab 5:48), in dem es unter anderem um unseren Hunger nach faktualen Geschichten geht, und die Frage, warum man sich im Fall eines erschummelten Memoirs so betrogen fühlt. Im August erscheint der neue Roman von Berit Glanz “Unter weitem Himmel”. Die Premiere, die ich moderieren darf, findet am 30. September im Pfefferberg-Theater Berlin statt. Hier kann man sich eine Karte sichern.