Der Tod des Autors als Marketing
Eine schlimme interessante Geschichte aus dem Literaturbetrieb.
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Fiese Fiktionen
Eine irrwitzige Geschichte, die schon seit einiger Zeit in den Sozialen Medien kursierte, erreichte Anfang des Jahres auch die etablierten Zeitungen wie den Guardian und die New York Times. Eine Autorin namens Susan Meachen täuschte vor ein paar Jahren auf Facebook ihren Tod vor, allem Anschein nach, um Aufmerksamkeit für ihr Werk zu erzeugen. Gerade für das tratsch- und skandalsüchtige BookTook (der Bereich der Plattform TikTok, wo sich unzählige literaturbegeisterte Menschen austauschen) bot der Fall einen perfekten Anlass, um über die Integrität von Literatur und Literatinnen zu streiten.
Die wenig bekannte Autorin, die Werke mit Titeln wie Losing Him & Finding You oder Stolen Moments veröffentlichte, gab im Oktober 2020 auf Facebook vor, ihre eigene Tochter zu sein. Versteckt hinter dieser Rolle gab sie ihren eigenen Tod durch Suizid bekannt, unter anderem, weil sie von der Buchwelt gemobbt worden sei. Nun könne man ihr Andenken würdigen, und ihr letztes Buch kaufen. Am 2. Januar 2023 war die Autorin aber plötzlich wieder am Leben – eine Auferstehung, die sie wiederum in einem Facebook-Post bekannt gab, der auch auf weitere psychische Probleme verwies und mit den Worten endete: “Let the fun begin.”
Diese Geschichte erscheint zunächst einmal vor allem traurig und verstörend. Warum sollte man sich damit überhaupt beschäftigen? Es handelt sich um ein Ereignis, das sicher nicht so viel Aufmerksamkeit erregen würde, wenn es nicht mit dem allgemeinen Prestige des Literarischen assoziiert wäre. Eine Person, die einfach nur auf diese grausame Art um Aufmerksamkeit wirbt, hätte wohl kaum den Guardian und die New York Times auf den Plan gerufen. Was die Geschichte aus literatur- und kulturwissenschaftlicher Sicht interessant macht, ist, dass sie – wie jeder Literaturskandal – vor allem von der Diskrepanz zwischen Ästhetik und Vermittlung lebt.
Irgendwie müssen all die Romane, Songs, Filme etc. ja bekannt gemacht werden, denn ohne Rezeption findet Kunst am Ende eben doch nicht statt. Die Mittel, die in diesem aufmerksamkeitsökonomischen Kampf verwendet werden, können ausgesprochen rabiat sein. Regelmäßig ergeben sich Widersprüche zwischen der hehren Vorstellung, die wir von ästhetischen Prozessen hegen, und der oft ziemlich ranzigen Form, in der Aufmerksamkeit für ästhetische Artefakte erzeugt wird.
Es ist eine ziemlich verzweifelte Form des Marketings, für die Verbreitung von Romance Novels den eigenen Tod vortäuscht. Aber der Gedanke dahinter zielt ins Herz eines Problems der Gegenwartsliteratur. Das Leben der Autorin ist für die Rezeption von großer Bedeutung. Uns interessieren eben nicht nur die formale Meisterschaft und die tiefe Figurenpsychologie eines Romans, uns interessiert auch die Lebensgeschichte der Autorin oder des Autors - vielleicht inzwischen sogar ein bisschen mehr als die Literatur selbst, gerade dann, wenn sie mit echten Leiden aufwarten kann, die das persönliche Investment des Verfassers oder der Verfasserin in das Werk unter Beweis stellen.
Der literarische Betrug hat dementsprechend selten mit den Werken und oft mit der Lebensgeschichte der Autorinnen zu tun. Ein Meisterwerk lässt sich schwer fälschen. Natürlich kann man plagiieren, aber das kommt meistens heraus. Eine faszinierende Lebensgeschichte dagegen lässt sich recht einfach fingieren. Und so sind literarische Betrugsfälle meist Fälle von Identitätsschwindel: so wie JT LeRoy, der mit fiktionalen, aber immer mit der Suggestion des Autobiographischen geschriebenen Texten über Gewalt und Missbrauch berühmt wurde, bevor sich herausstellte, dass der Autor gar nicht existierte; oder so wie Binjamin Wilkomirski, dessen faktuale Lebensgeschichte Bruchstücke über seine Erlebnisse als jüdisches Opfer der Nationalsozialisten als Fälschung enttarnt wurde. In beiden Fällen waren nicht nur die Texte selbst von Falschdarstellungen durchzogen, die ganze Autorenidentität erwies sich als eine ausgeklügelte Fiktion.
Die Fälle sind bekannt und reihen sich ein in eine inzwischen umfangreiche Betrugsgeschichte der Literatur, die aus falschen kulturellen Identitäten, aus falschen Verbrechen, falschen Drogenleiden, falschen Familiendramen, falschen Krankheiten besteht. Der Autor, der doch einer Forderung der Literaturtheorie nach, tot sein sollte, investiert – zumindest wenn er kriminelle Energie mitbringt – viel narrative Mühe in sein aufgeblasenes Leben. Und nun wurde also auch der Tod der Autorin als kuratiertes Ereignis der Autorinszenierung instrumentalisiert.
Dabei kann sich Susan Meachen auf die heroische Tradition des jungverstorbenen Genies berufen, das der Nachwelt noch ein Werk geschenkt hat, oder auf die tragische Figur einer Autorin, die mit letzter Kraft ihre Dämonen literarisch verarbeitete, bevor sie von ihnen besiegt wurde. Das alles sind Topoi mit einer langen Geschichte, die sich bewusst oder unbewusst abrufen lassen. Ob aber das Wiederauftauchen irgendwann auch zu dieser Tradition gehören wird, erscheint vorerst ausgesprochen fraglich. Bisher sind die Fans und das Umfeld der Autorin vor allem verstört und wütend. Ob es die Buchverkäufe ankurbelt, wird sich zeigen
(Bilder von Nils Pooker und Roland Meyer)
Toxische Talente
Für Zeit Online habe ich über den Genie-Mythos der Gegenwart geschrieben, über Musk, Glass Onion, Twitter und Herrschaft.
Ein guter Webcomic
Nach wie vor funktioniert die Einbettung von Tweets nicht. Den Comic kann man sich hier anschauen.
Die guten Texte
Charlie Warzel stellt die Frage, ob nun das Zeitalter des Gruppenchats beginnt.
Was war eigentlich Twitter? Ein sehr guter Essay aus der Perspektive eines Vielusers.
Eine spannende Reportage über einen Mann, der als falscher Sherlock Holmes Karriere gemacht hat.
Die guten Tweets
https://twitter.com/Magdarine/status/1435941994967310340?s=20
https://twitter.com/SimeonTheFool/status/1649793279112757251?s=20
https://twitter.com/RobsPierre90/status/1646470986529660928?s=20
Ein extrem spannendes Buch
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