Mediale Bindungsangst
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Die Angst der Leser*in vor dem Abo
Als Mensch, der mit dem Publizieren im Internet zu tun hat, denke ich viel darüber nach, wie man eine digitale Infrastruktur zur Finanzierung geistiger Arbeit aufbauen kann. Oder weniger kompliziert ausgedrückt: Wie man mit Texten im Internet Geld verdienen kann. Das endet irgendwann meist in der Klage darüber, dass es nicht funktioniert. Die Strukturen, die das Schreiben von Texten über längere Zeit getragen haben, sind - wie ich hier beschrieben habe - in den letzten 20 Jahren endgültig zusammengebrochen. Dieser Befund soll aber kein Anlass für kulturkritisches Händeringen sein. Viele der etablierten Institutionen des geistigen Lebens haben vollkommen zurecht Probleme, sind inhaltlich eingeschlafen und personell machtverklebt. Es ist stattdessen wichtig darüber nachzudenken, was man jetzt Neues aufbauen kann.
Allerdings braucht es dafür die Mittel: Der Energieschub der Digitalisierung wird auf der publizistischen Ebene nach wie vor zumeist nach Feierabend ausgelebt (ich schreibe diesen Text an einem Sonntag). Ein Problem ist, dass es mit großen Problemen verbunden ist, die Öffentlichkeit dazu zu bringen, für digitale Texte zu bezahlen. Das gilt vor allem für Abonnements. Wenn das Thema in Diskussionen aufkommt, geht es schnell darum, dass man nicht so viele Abos abschließen möchte, dass man die Befürchtung hat, von einem Abo ausgetrickst oder überwältigt zu werden. Bisweilen hat man den Eindruck, es herrsche eine regelrechte Aboangst oder Abopanik. Diese Angst scheint intuitiv nachvollziehbar, aber warum? Ich habe ein paar Gedanken formuliert, was der Grund für die kulturelle Scheu davor, regelmäßig für ein Medium zu bezahlen, sein könnte.
1. Digitale Abonnements wirkten lange Zeit unglaublich shady: Eines der ersten Abonnements, die man im Internet abgeschlossen hat, war der Vertrag mit dem Provider, und diese Verträge sind zumindest für mich der Inbegriff von klebrigem Kleingedruckten. Anstatt offen zu sagen, was etwas im Monat kostet, wird mit allen Tricks versucht, ein Vertrag über am besten 24 Monate zu verkaufen, von dem man erst nach langer Suche verstanden hat, was er wann kosten wird. Einen ähnlich zwielichtigen Eindruck machten und machen nach wie vor auch die Abos von Textmedien. Das begann damit, dass diese Abos oft mit seltsamen Prämien verkauft wurden, was - kein Ruhmesblatt für die Leser*innen - sehr gut funktioniert haben muss, was allerdings auch den Eindruck einer dubiosen Geschäftspraktik vermittelt. So hat man dann für eine Kaffeemaschine seine Seele für immer an eine Zeitung verkauft. Auch wenn sich in dieser Hinsicht einiges verändert hat, bleibt der Eindruck einer bewusst hergestellten Unübersichtlichkeit.
2. Das Lesen im Internet hat sich verändert: Früher hatte man 'seine' Zeitung, die morgens im Briefkasten lag, und der man seine Treue halten konnte. Heute lesen Menschen vielfältiger und selektiver, eher viele Texte aus unterschiedlichen Medien. Wer gerne einmal einen Text aus der SZ, dann wieder aus der ZEIT, dann wieder aus der FAZ lesen möchte, der wird sich natürlich scheuen, gleich drei Abos (oder auch nur eins) abzuschließen. Daher kommt auch die Klage, die ich bei Diskussionen zum Thema oft angetroffen habe, dass man für nur einen Text kein Abo abschließen wolle etc. Für Medien wiederum ist der Einzeltextverkauf ausgesprochen unattraktiv. Es würde für einige Ressorts (allen voran das Feuilleton) wahrscheinlich eine böse Überraschung bereithalten, wenn Menschen nur noch für die Artikel zahlen würden, die sie auch lesen wollen (was übrigens durchaus möglich ist, auf einer Plattform wie Blendle oder, indem man eine Einzelausgabe einfach am Kiosk kauft).
3. Das Problem auf der Rezeptionsebene geht allerdings noch tiefer: Die digitale Öffentlichkeit erzeugt das ständige Gefühl einer Überforderung. Das gilt natürlich auch für die Menge an Texten und Medien. Ein Abo ist dann eine zusätzliche Quelle für den Druck, die Texte, die man bezahlt hat, auch zu lesen. Ein Grund Aboangst ist, Textscham - über die ich hier schon einmal geschrieben habe - zu vermeiden.
4. Die Medienkonkurrenz gilt auch für Abos: Textmedien müssen sich schon sehr lange die Aufmerksamkeit und die finanziellen Mittel der Menschen mit anderen Medien teilen. Das hat in Bezug auf Abos in der digitalen Gegenwart eine neue Intensität angenommen, weil man mit den monatlichen Aufwendungen für Spotify, Netflix etc. konkurrieren muss.
4. Preis: Gerade deutsche Tageszeitungen sind teilweise immer noch wahnsinnig teuer. Dazu kommt, dass die meisten Menschen in Deutschland schon ein verpflichtendes Medienabo haben, nämlich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Ich bin ein starker Befürworter dieses Pflichtabos, aber man kann davon ausgehen, dass das Gefühl, ja schon regelmäßig etwas für Medien bezahlen zu müssen, die Menschen davon abhält, weitere Abos abzuschließen.
6. Es gibt viele Texte kostenlos: Zwar machen immer mehr Medien diesen Fehler langsam rückgängig, aber die Tatsache, dass die meisten Textmedien zu Beginn der Digitalisierung frei zugänglich waren, hat dafür gesorgt, dass das Bewusstsein für den Wert digitaler Texte falsch justiert wurde. Es ist auf jeden Fall schwer, sich darauf einzustellen, für etwas zu bezahlen, was lange Zeit kostenlos war.
Viele dieser Probleme gelten für zahlreiche digitale Angebote schon lange nicht mehr. Ewig lange Verträge, aus denen man nicht mehr herauskommt, gibt es zwar noch, aber sie sind seltener geworden. Ähnlich verhält es sich mit dem Preis. Gerade digitale Formate aus dem englischsprachigen Raum sind teilweise fast schon albern billig, wie etwa einige Magazine, die hier öfters ausgewertet werden. "The New Republic": 20 Dollar/Jahr. "The Atlantic": 60 Dollar/Jahr. "New York Review of Books": 80 Dollar/Jahr. "New Yorker": 120 Dollar/Jahr.
Beim "New Yorker" wären das dann z.B. knapp 2,50 für eine Ausgabe, plus Zugang zum voluminösen Archiv. Das gilt noch viel mehr für rein digitale Formate. Eine Abo von "Übermedien", wo täglich professioneller Medienjournalismus geboten wird, kann man ab 60 Euro/Jahr bekommen. Ein Newsletter, wie "Garbage Day", der mehrmals in der Woche kommt, ist ab 45 Dollar/Jahr zu bekommen (dagegen ist dieser Newsletter mit 48 Euro/Jahr regelrecht teuer lol).
Trotzdem kann man die Aboscheu nach wie vor verstehen. Gerade in dieser Übergangszeit sind die Möglichkeiten und Anforderungen weiterhin sehr unübersichtlich und die Befürchtung, sich eine unkontrollierbare Masse an Verpflichtungen aufzuhalsen, erscheint nachvollziehbar. Wer soll das alles lesen, wer soll das alles bezahlen? Was mich interessiert, wäre, wie diese kulturelle Unsicherheit überwunden werden kann. Was wären technische, wirtschaftliche und soziale Innovationen und Reformen, die dazu führen könnten, dass die Finanzierung geistiger Arbeit im digitalen Raum funktioniert? Schreibt mir gerne (per Mail oder in den Sozialen Medien) eure Einschätzungen und Vorschläge.
Ein gutes Webcomic
Die guten Texte
Wolfgang Ullrich schreibt hier über die Gamification von Kunst in der Gegenwart - unter anderem eine Währung von Damien Hirst, Warhol-Unpacking und Teufelsschuhe von Lil Nas X. Künstliche Intelligenzen werden immer geschickter darin, Texte zu schreiben, beängstigend geschickt, wie dieser Essay anhand von einigen Beispielen zeigt. Bei Facebook sitzt ein ausgesprochen ominöser Charakter an einer extrem wichtigen Schaltstelle - auch extrem spannender Text über den Zusammenhang von Politik und Plattformökonomie.
Und: Ein Song.
Die guten Tweets
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