Kokainbär und Muskismus
Kultur & Kontroverse ist ein Newsletter, in dem ich über kulturelle Konflikte der Gegenwart schreiben möchte. Die spannendsten Konflikte finden heute im medienübergreifenden, oft digitalen Getümmel statt.
In eigener Sache
Das Jahr neigt sich dem Ende zu und dieser Newsletter geht in die wohlverdiente Weihnachtspause. Ob der Dienst "Revue" 2023 noch existiert, wird sich zeigen, ansonsten kommt "Kultur & Kontroverse" aber von einer anderen Plattform. Es macht mir nach wie vor großen Spaß, alle zwei Wochen hier laut über Dinge nachzudenken, die gerade die Kultur umtreiben. Eigentlich würde ich auch gerne mehr und öfter schreiben, aber das ist zeitlich gerade leider nicht möglich. Der Newsletter ist kostenlos und soll es auch bleiben, man kann ihn aber unterstützen und ich möchte mich an dieser Stelle bei allen bedanken, die das tun. Ein Abo kostet 4 Euro pro Monat, und wer regelmäßig und gerne mitliest, kann sich ja überlegen, hier eins abzuschließen. Ich freue mich auch über Einzelspenden.
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Aufstieg des Meme-Films
Bereits das Filmplakat zu “Cocaine Bear” - ein Film über einen Bär, der ein Paket Kokain frisst und daraufhin Amok läuft - hat auf Twitter für Furore gesorgt. Was zunächst wie ein Witz im Stil des erfundenen Martin-Scorcese-Klassikers “Goncharov” wirkte, stellte sich, spätestens als der Trailer veröffentlicht wurde, als sehr real heraus. Im Trailer sieht man den vollgekoksten Bär eine Reihe von glücklosen menschlichen Figuren jagen, die einen nicht gerade intelligenten Eindruck machen - darunter auch Ray Liotta, der als Schauspieler für eine der bekanntesten Koks-Szenen der Kinogeschichte verantwortlich ist. Hier kann man sich den Trailer anschauen (CN: Gewalt).
Die Geschichte von "Cocaine Bear" beruht sehr lose auf dem wahren Schicksal eines Bären, der in der amerikanischen Wildnis eine größere Menge Kokain gefressen und daran kläglich gestorben war. Was diesen eigentlich ziemlich traurigen Vorgang zu einer Vorlage für einen Film mit Hollywood-Stars macht, sind die Memes, die aus der Geschichte entstanden sind. Yasmin Tayag schreibt in ihrem Artikel im “Atlantic”, wie “Pablo Escobear” (so der Spitzname, den das Internet dem Bären gegeben hat) vor allem in einem Reddit-Forum, aber auch darüber hinaus zu einem Meme geworden ist. Der reale Cocaine Bear lässt sich inzwischen auch ausgestopft in einem Einkaufszentrum in Kentucky bewundern, und ja, es gibt Merch.
Was hier verfilmt wurde, ist also nicht eine unglaubliche reale Geschichte, wie sie als narrative Ressource von True Crime Formaten gerade überall aufgesogen wird, sondern der memetische Kult, der sich um eine Geschichte angelagert hat, die ohne diesen Kult ganz und gar unerheblich gewesen wäre. Es handelt sich um die Verfilmung eines Memes. Dieser Meme-Film ist natürlich darauf angelegt, weitere Memes zu erzeugen. Tayag schreibt, die Reaktion auf den Trailer habe bei ihr ein lautes "hell yeah" erzeugt:
"Die Flut von Memes, die der Trailer ausgelöst hat - auf Kosten von Weltverbesserern wie Paddington und dem anderen Coke-Bär - zeigt, dass ich mit meiner Begeisterung nicht allein bin. Aber die meisten Menschen, mit denen ich den Trailer geteilt habe, hielten ihn zunächst für einen Scherz, und viele konnten nicht glauben, dass es sich um einen echten Film handelt - und können es immer noch nicht. Andere Memes teilten diese Ungläubigkeit. Ich konnte ihren Widerstand nicht verstehen, bis mir klar wurde, dass ich nicht erklären konnte, warum ich den Film liebte."
"Cocaine Bear" ist ein Beispiel für ein Phänomen, das immer mehr an Bedeutung gewinnen wird: ästhetische Artefakte, die darauf angelegt sind, vor allem Memes zu erzeugen. Meme-Filme wären dann Filme, die ein bestimmte Form der Anschlusskommunikation herausfordern, nämlich die Flut an Witzen und Sprachspielen, die in den Sozialen Medien am besten geeignet ist, um etwas zu verbreiten, und um Aufmerksamkeit zu binden. Einem Film wie "Morbius" ist dieser Status als Meme-Film nur unterlaufen, "Cocaine Bear" fordert ihn offen heraus.
"Morbius" profitierte kurzfristig durch den Status des "Epic Fails", der eine Community im gemeinsamen Spottereignis verbindet. Allerdings war das natürlich eigentlich schlecht für den Film, der vor allem ausgelacht wurde, und ließ sich auch nicht kapitalisieren. Das Beispiel zeigt aber wie stark Memes inzwischen auch zu einem wichtigen Teil der ästhetische Kommunikation geworden sind, zu einem Instrument des Austauschs über Kunst und Kultur. Es wird sich zeigen, ob "Cocaine Bear", der im Feburar 2023 erscheinen soll, von dieser Kommunikation auch finanziell profitieren kann.
Der 54books Discord ist da
Twitter geht in eine weitere Dekandenzphase ein, und es wird viel darüber nachgedacht, wo der Austausch, der diese Plattform in ihren besten Zeiten ja wirklich auszeichnet, stattfinden kann, wenn Social Media auf diese Art nicht mehr zu benutzen ist. 54books hat seinen Discord geöffnet, um einen Ort zu schaffen, wo man sich über Literatur, Film, Games etc. austauschen kann. Discord ist eine Plattform, die Diskussionsforen bereitstellt. Man kann sich hier einfach anmelden und sich das ganze einmal anschauen. Es wird bereits spannend diskutiert, über K.I., über zu schwere Games, über Wikinger. Aber es werden auch Tierfotos ausgetauscht.
Ein gutes Webcomic
Dekadenz des Muskismus
Das Spektakel der Twitter-Übernahme durch Elon Musk geht weiter. Fast täglich ergeben sich neue Skandale, die der reichste Mann der Welt erzeugt (offenbar ist seine Arbeit nicht gerade auslastend). Es handelt sich, wenn man so will, um die Ideologie des extremen Main-Characterings, den zwanghaften Versuch, sich in den Mittelpunkt der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie zu drängen, egal wie. Diese Haltung scheint mir zunächst einmal im Herzen nihilistisch zu sein. Sie tendiert allerdings, wie andere aktuelle Hauptvertreter (Donald Trump, Kayne West) zeigen zu den Versatzstücken rechtsextremer Transgression.
Nachdem Kayne West, der diese Tendenzen auf eine fast parodistische Art zu weit treibt, jetzt wieder von Twitter verbannt wurde, weil er ein Hakenkreuz, das mit einem Davidstern verbunden ist, gepostet hat, zog Musk vor wenigen Tagen nach und postete: "My pronouns are Prosecute/Fauci". Diesem transfeindlichen Bait für seine rechten Fans ließ er noch ein Meme folgen, das auf verschiedene Verschwörungstheorien Bezug nahm, die in diesen Kreisen gerade zirkulieren. Good stuff.
Zur Frage, ob Musk rechts ist, hatte es in der New York Times kurz zuvor einen händeringenden Artikel gegeben, der nach diesen Tweets natürlich etwas alt aussah. Überhaupt sollte man die gequälte Diskussion darüber, ob jemand rechts ist, vielleicht einfach aufgeben und über die rechten Kommunikationspraktiken berichten, die sich dann bei manchen Menschen irgendwann so häufen, dass sich von selbst ein Bild ergibt. Oder man geht von der Wirkung aus, die diese Kommunikation auf den Diskurs haben kann. Charlie Warzel hat dazu einen guten Text im "Atlantic", wo er Elon Musk als "rechtsextremen Aktivist" ("Far-Right Activist") bezeichnet. Die Frage, welcher Ideologie Musk nun wirklich angehört, ist demnach im Wesentlichen unerheblich - was zählt sind seine Taten und deren Wirkung. Warzel schreibt:
"Warum tut Musk das alles? Die Antwort ist relativ einfach. Musks rechtsextremer Aktivismus scheint, wie alles andere in seinem Leben, persönlich motiviert zu sein, nicht durch eine starke politische Ideologie oder ein Wertesystem, sondern, wie Lopatto argumentiert. Das Ziel ist Geld anzuhäufen und 'als Visionär wahrgenommen zu werden, der die menschliche Gesellschaft umgestalten wird'. Musk ist daran interessiert, die politischen Werte und Systeme zu bewahren, die ihn als verehrtes Mitglied der Kultur an der Spitze halten. Es ist eine Philosophie, die der Schriftsteller John Ganz als 'Bossismus' oder 'Bosse an der Spitze' bezeichnet hat."
Diese Art, politisches Verhalten zu analysieren, finde ich insgesamt hilfreicher, als die panische Frage, welcher Ideologie ein Mensch wirklich angehört. Die Tatsache, dass Ideologie oft auf einem flachen politischen Denken beruht, vage und verwirrt ist, durch persönliche Motive getrieben und oft zutiefst lächerlich, ändert nichts daran, dass sie eine Wirkung haben kann. Das gilt etwa auch für den Rechtsextremismus Donald Trumps, der gerade deshalb oft nicht ernst genommen wurde, weil er so inkohärent und klar zynisch motiviert wirkte. Aber auch Dinge, die wir nicht meinen und trotzdem sagen, haben Folgen. Warzel vermutet - ich denke zurecht -, dass Musks Tweets vor allem durch das grausame und oberflächliche Bedürfnis nach Aufmerksamkeit auf Twitter motiviert sind, was sie aber eben nicht weniger rechtsextrem macht.
Auf Twitter kursiert übrigens gerade ein Video, das einen Auftritt Musks bei einer Show von Dave Chappelle zeigt, wo Musk über 5 Minuten lang laut ausgebuht wird.
Ein guter Thread
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