Dieser Newsletter hat eine lange Pause gemacht, aus der er nun auch nicht plötzlich wieder auftauchen wird. Ich wollte nur ein kurzes Lebenszeichen senden und ankündigen, dass ich hier in Zukunft wieder mehr schreiben werde - nicht regelmäßig, aber sporadisch. Momentan befinde ich mich im Endspurt zu einem Buch, das im Herbst dieses Jahres bei S. Fischer erscheinen wird, und das sich mit der Frage beschäftigt, warum wir über Kunst und Kultur streiten. Es handelt sich um eine Konflikttheorie des Ästhetischen, die ich anhand zahlreicher Kontroversen und Skandale erzählerisch entwickeln werde.
Diese Kontroversen drehen sich in der Gegenwart oft um nachträgliche Eingriffe in populäre Erzählungen wie die James-Bond-Reihe, die Jugendbücher Roald Dahls oder die Krimis Agatha Christies, die durch die Tilgung rassistischer oder frauenfeindlicher Passagen an den Zeitgeist angepasst werden. Die Diskussionen, die sich an solche Anpassungen anschließen, wirken inzwischen ausgesprochen erschöpfend und intellektuell unergiebig, vor allem deshalb, weil die starke Politisierung der Debatte dazu geführt hat, dass die gleichen Argumente einfach in steigender Lautstärke immer wiederholt werden. Gerade kann man das an der Diskussion um Neuausgaben der Jim-Knopf-Bücher von Michael Ende beobachten. Allerdings ist in diesem Fall eine leise Müdigkeit zu verspüren. Wenn man etwa dieses lustlose Pro-Contra bei der “Welt” liest, dann drängt sich der Eindruck auf, dass das Herz der Leute nicht mehr wirklich drinsteckt.
Die neue Zensurdebatte, die inzwischen gar nicht mehr so neu ist, steht nach wie vor im Schatten des Cancel-Culture-Diskurses. Dazu habe ich dem Magazin des Haymon-Verlages ein Interview gegeben, in dem ich mich unter anderem gefragt habe, ob die Konflikte um Jugendbücher und Filmreihen nicht vor allem ein Abfallprodukt der Retromanie sind, die seit einiger Zeit die Ästhetik der Populärkultur komplett beherrscht. Die sich immer schneller jagenden Remakes und Reboots, Neuauflagen und Auferstehungserscheinungen sind ja überhaupt erst der Anlass dafür, dass man sich die Frage stellen muss, ob “Arielle” oder “Ghostbusters” so heute noch funktionieren. Die Nostalgie, die diese Entwickelung antreibt, ist hochgradig widersprüchlich, weil das Bedürfnis, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen, überhaupt erst dazu führt, dass diese Vergangenheit durch die Gegenwart kontaminiert wird.
Apropos James Bond: In diesem Essay von James Parker, das den Titel “The James Bond Trap” trägt, geht es darum, wie Ian Fleming versuchte, die Figur, die ihn berühmt gemacht hatte, loszuwerden - erfolglos. “Um 1960”, schreibt Parker, “hatte er genug von Bond und fragte sich, wie er ihn umbringen könnte. ‘Wie die Tasten knarren, wenn ich tippe’, beschwerte er sich in einem Brief an den Schriftsteller William Plomer.” Der Fall ist deshalb interessant, weil er auf ein Problem der Werkherrschaft verweist, das selten angesprochen wird. Normalerweise kämpfen Autor:innen darum, die Macht ihrer Urheberschaft nicht zu verlieren. Aber es wird auch genug Fälle geben, in dem die Autor:in zum Gefangenen ihrer Figuren wird, bei denen die Tasten vor Lustlosigkeit knarren. Davon handelt zum Beispiel der Roman “Misery” von Stephen King, in dem der Autor einer populären Romance-Reihe in die sehr reale Gefangenschaft seines “größten Fans” gerät, eine Frau, die ihn unter Folter dazu zwingt, seine beliebteste Figur zurückzubringen, die er aus werkpolitischen Gründen hatte sterben lassen.
Das Thema ‘James Bond’ gibt mir auch noch einmal die Möglichkeit, auf diesen Text hinzuweisen, der Ian Fleming und Frantz Fanon zusammenbringt - zwei historische Figuren, die auf den ersten Blick denkbar weit voneinander entfernt zu sein scheinen.
Das Verhältnis “Text und Geld” interessiert mich schon lange. Anlässlich des schockierenden Untergangs von “Pitchfork” habe ich hier einen schlecht gelaunten Artikel darüber geschrieben, was auf dem Spiel steht, wenn eine Gesellschaft sich den Luxus der Geistesarbeit nicht mehr leisten will. Der Text war vielleicht etwas zu schlecht gelaunt, denn in der Resonanz war eine gewisse Hoffnungslosigkeit zu spüren, die ich natürlich nicht auslösen wollte. Es bleibt eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben, produktiv darüber nachzudenken, wie ein vitales Intellektuelles Leben weiter möglich sein kann, auch wenn die klassischen Institutionen, wo dieses Leben bisher stattgefunden hat, immer mehr entfinanziert werden. Der Text sollte vor allem dazu mobilisieren, darüber gemeinsam nachzudenken.