Hilfe, die Corona-Romane kommen!
Kultur & Kontroverse ist ein Newsletter, in dem ich über kulturelle Konflikte der Gegenwart schreiben möchte. Die spannendsten Konflikte finden heute im medienübergreifenden, oft digitalen Getümmel statt.
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Eine langweilige Apokalypse
Nun kommen sie also doch, die Corona Romane! In der New York Times wird darüber berichtet, dass es immer mehr Bücher gibt, die sich in irgendeiner Form mit der Pandemie beschäftigen. Die Probleme, die damit einhergehen, liegen auf der Hand. Im März 2021 hatte ich angesichts einiger Schnellschüsse schon einmal drüber geschrieben, welche ethischen Schwierigkeiten sich ergeben, wenn man eine kollektive Katastrophe zu schnell und sorglos zum Gegenstand von Kunst macht. Das zeigte sich nirgends so deutlich, wie im Fall des Films Songbird, dessen Trailer im Winter 2020 den gerechten Zorn der Netzgemeinde heraufbeschwor, weil er aus der Pandemie eine Kulisse für einen läppischen Thriller gemacht hatte.
Aber auch ästhetisch stellen sich Herausforderungen für eine zeitgenössische Kunst, die dadurch, dass sie sich zur Pandemie verhalten muss, historisch immer schon markiert ist. Nicht alle Romane können für immer im Jahr 2019 spielen, um sich der tyrannischen Gegenwart zu entziehen. Im Artikel der New York Times werden weitere Probleme genannt. Bringen die Leser*innen der unmittelbaren Zukunft überhaupt die Energie auf, sich jetzt wieder, diesmal im Roman, mit Covid zu beschäftigen? Und handelt es sich nicht um eine Konstellation, die sich nur schwer dramatisieren lässt, weil der Alltag der Pandemie von Isolation und Einsamkeit, von einem Gefühl lähmender Statik geprägt ist? Wie soll aus dieser "langweiligen Apokalypse" ("boring apocalypse") eine spannende Geschichte gemacht werden?
Tatsächlich klingen die Romane, um die es im Artikel geht (unter anderem von Gary Shteyngart und Ian McEwan) nicht besonders interessant. Offenbar haben die Autor*innen nicht auf Tom Bissel gehört, der im Winter 2021 streng davon abgeraten hat, Corona-Romane zu schreiben. Auch in diesem Fall ging es um die schwergängige Erzählbarkeit der Katastrophe: "Um es mit Tolstoi zu sagen: Alle globalen Krisen sind schrecklich, aber jede ist auf ihre eigene Art schrecklich." 9/11 habe eine Stimmung erzeugt, die zumindest kurzfristig dazu geführt habe, dass Menschen sich in die Arme gefallen und zusammengekommen wären. Auch Covid sei eine Stimmung, aber "vergleichsweise eine verarmende und isolierende Stimmung". Er habe den Eindruck, dass der allgemeine Vibe eher in Richtung "Alles nur nicht das" gehen würde. Bissel scheint diesen Vibe emphatisch zu teilen:
"Bedeutet das, dass wir dazu verdammt sind, monatelang oder sogar jahrelang positive Geschichten zu schreiben, eine Million Ted Lassos auf diese Erde loszulassen? Wenn ja, dann sollen sie sich auf den Feldern der Kultur tummeln. Es könnte sein, dass die Erinnerung an das, was wirklich gut am Menschen ist, von zentraler Bedeutung sein wird, um diese düstere Epoche zu überstehen."
So sympathisch ich diesen Ansatz finde - es hat etwas seltsam Ästhetizistisches und Geschmäcklerisches, kollektive Katastrophen aufgrund ihrer Erzählbarkeit gegeneinander auszuspielen. Allerdings plaudert der Kommentar in seiner sorglosen Art eine der grausamen Mechanismen künstlerischer Betätigung einfach aus und macht ihn dadurch sichtbar: Dass Katastrophen eben auch danach bewertet werden, wie gut sie sich als Material für Geschichten eigenen.
Ein gutes Webcomic
Nach sechs Monaten Newsletter
Diesen Newsletter gibt es nun schon seit einem halbes Jahr und es ist Zeit, eine kurze Bilanz zu ziehen. Ich habe in dieser Zeit jede Woche eine Ausgabe verschickt, also 24 mal "Kultur & Kontroverse". Davon war eine Ausgabe Bonuscontent für die zahlenden Abonnent*innen. Zudem gab es eine Extraausgabe mit den schlimmsten Sexszenen aus dem neuen Roman von Jonathan Franzen. Das Wachstum des Newsletters verlief mal langsam, mal schnell, aber immer stetig. Inzwischen abonnieren 1022 Menschen, und - was mich besonders freut - die Open Rate liegt bei stabilen 65 Prozent, was dafür spricht, dass viele Leser*innen mit Eifer und Freude dabei sein. Das gilt auch für die ziemlich niedrige Rate derjenigen, die den Newsletter wieder abbestellen.
Dazu kommt eine allerdings sehr fluktuierende Anzahl an online Klicks, die zwischen 300 und 1500 liegen kann. Wie jeder Content, der nicht aus einem bereits in der analogen Welt etablierten Medium kommt (wie sagen wir mal die FAZ oder ZEIT), bin ich in dieser Hinsicht vollkommen abhängig von den Launen der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie - das heißt konkret von der Anzahl der Retweets und insbesondere der Quote-Retweets. Das hat Vor- und Nachteile: Einerseits ist die launige digitale Öffentlichkeit ein guter Gradmesser dafür, was Menschen interessiert. Und das sollte auch und gerade für Kulturjournalismus eine wichtige Rolle spielen. Andererseits wird man als Medium oder Autor*in so auch schleichend zu einem Klickbait-Populismus erzogen, der dazu führen kann, dass man Themen, die nicht unmittelbar eine Menge an Social Shares produzieren, vernachlässigt.
Was das für das Mediensystem bedeutet, kann man an dem trostlosen "Cancel Culture" Diskurs beobachten. Artikel, die sich gegen "Political Correctness", "Genderwahn" etc. richten, erzeugen extrem viel Aufmerksamkeit, und das heißt: Traffic für die Werbetreibenden und neue Abos. Die Folge ist, dass noch mehr dieser Texte erzeugt werden, die dann wiederum das Thema emotional am Kochen halten. Einer der Vorteile des Newsletterformats ist demensprechend, dass er im Sinne der alten seriellen Publikationsformate ein Publikum aufbaut, das mitliest, weil es das übergeordnete Thema interessant findet und nicht nur einzelne Texte.
Trotzdem sind Social Shares sehr wichtig für mich und der Hauptgrund, warum ich hier überhaupt ein Publikum habe. Für das Mediensystem haben Klickzahlen und andere metrische Indikatoren des Erfolgs den segensreichen Einfluss, den teilweise ziemlich vertrockneten Kanon klassischer Feuilletonthemen herauszufordern. Wenn Menschen nicht mehr auf die etablierte Form von Buch-Rezension oder Opernkritik klicken, dann sollte das jedenfalls kein Anlass für kulturkritisches Händeringen sein (oder nicht nur), sondern auch eine Gelegenheit, sich zu fragen, ob es nicht auch noch andere spannende Themen und Formate für zeitgenössisches Culture Writing gibt.
Vielleicht kann diese Bilanz auch ein Anlass sein, um gemeinsam darüber nachzudenken, was die Gründe sind, warum wir überhaupt Texte in den Sozialen Medien teilen. Zum einen ist es das Identifikationspotential eines Textes, in dem wir uns selbst erkennen und durch den wir etwas über uns selbst sagen können, zum anderen ist es emotionales Reaktionspotential, insbesondere der Ärger über einen Text, der uns zur Weißglut gebracht hat. So schwankt die Motivation zwischen dem Modus des "So ist es!" und "Sauerei"!
Ein anderer Grund, Content zu teilen - der Grund, der für diesen Newsletter am wichtigsten ist - ist die direkte Kommunikation der Leser*innen untereinander, der Austausch über die Fragen, die ein Text aufwirft. Das ist auch eine der Sachen, die mir beim wöchentlichen Schreiben am meisten Spaß macht, der Aspekt der Kommunikation, der davon ausgehen kann, dass man diesen Text nicht einfach ins Nichts schreibt, sondern in ein Feld der vitalen Resonanz, die im übrigen oft durchaus kritisch ist, teilweise konfrontativ - und von mir aus könnte dieser Aspekt eine noch größere Rolle einnehmen.
Das sind die Dinge, die gut funktionieren und die mich stark motivieren, auch die nächsten 24 Ausgaben zu schreiben. Eine Sache, die nicht so gut funktioniert, betrifft das leidige aber faszinierende Thema "Geld". Man muss gleich dazu sagen, dass es sich dabei um ein Problem handelt, das das gesamte Mediensystem betrifft. Als Newsletter als Format aus den USA in die deutschsprachige Welt herüberschwappten, war eines der utopischen Versprechen, dass es sich um eine neue Form der Finanzierung von Textarbeit handeln könnte.
Autor*innen wie Anne Helen Petersen mit Culture Study oder Ryan Broderick mit Garbage Day haben Formate des Culture Writings entwickelt, die es ihnen tatsächlich ermöglichen, davon zu leben. Das liegt zum einen natürlich an der hohen Qualität ihrer Texte, zum anderen aber auch an der viel größeren englischsprachigen Zielgruppe und - so zumindest mein Eindruck - an einer anderen Tradition des Bezahlens für Textarbeit. Diese Newsletter haben unter ihren Abonnent*innen teilweise eine Rate von 10 Prozent, die monatlich dafür bezahlen.
Davon ist "Kultur & Kontroverse" - und die meisten deutschsprachigen Newsletter, die ich kenne - weit entfernt. Inzwischen ist dieser Newsletter bei 17 zahlenden Mitgliedern (von 1022). Das soll kein Anlass zur Klage sein und sicher auch nicht in eine Strafpredigt ausarten! Das Verhältnis von Text und Geld, die Frage nach Finanzierungsmodellen für geistige Arbeit ist - das wissen regelmäßige Leser*innen schon - eine der Obsessionen dieses Newsletters, der demensprechend immer wieder selbst auch zum Gegenstand entsprechender Überlegungen werden wird.
Etablierte Finanzierungsmodell für Textarbeit sind in den letzte Jahrzehnten zusammengebrochen. Das liegt vor allem daran, dass Facebook und Google die Einnahmen durch Werbung inzwischen fast vollständig in sich hineinfressen. Gleichzeitig ist die akademische Infrastruktur immer mehr entfinanziert worden und erscheint als Ort der Textarbeit prekärer als je zuvor. Was das für Folgen hat, habe ich in diesem Text zu entwickeln versucht. Darin heißt es:
"Wenn ein Text schludrig gedacht, oder schlecht geschrieben ist, dann kreiden wir das immer noch automatisch der Autor*in an. Durch diese Individualisierung mangelnder Qualität wird allerdings der Blick auf die systemischen Gründe von Beginn an verstellt. Vielleicht hatte die Autor*in auch einfach wenig Zeit? Oder musste sich auf eine Arbeit konzentrieren, die besser bezahlt war? Oder sie hat während der Niederschrift ständig daran gedacht, dass ihr Vertrag in zwei Monaten ausläuft? Oder es hätte eine andere Person gegeben, die viel besser geeignet war, diesen Text zu schreiben, die aber jetzt für Apple arbeitet, weil man dort besser bezahlt wird und einen weniger stressbeladenen Arbeitsplatz hat?"
Gute Texte werden selten geschrieben, wenn man gerade gestresst oder müde ist - auch wenn die deutsche Genieästhetik diesen Zusammenhang zwischen Elend und Kreativität nach wie vor aufrecht zu erhalten versucht. Das aktuelle Finanzierungsmodell geistiger Arbeit erkauft sich den relativ preiswerten Content auf Kosten seiner Qualität. Man kann das schwer in Zahlen fassen, aber ich würde vermuten, ein recht hoher Prozentsatz intellektueller und kreativer Energie verschwindet jedes Jahr im Abflussrohr von Überarbeitung und Existenzängsten.
In meinem Text habe ich für eine Erweiterung des individuellen Medienbudgets argumentiert, allerdings ist mir natürlich klar, dass es nicht so einfach ist. Für viele Menschen ist es ein Problem, das Geld für Texte aufzubringen und selbst dann, wenn man dazu in der Lage ist, stapeln sich die Abos und Beiträge irgendwann auf eine unangenehme Art. Gerade deshalb ist auch das Konzept "Paywall", das in dieser Hinsicht natürlich Klarheit bringt, problematisch. Man möchte nicht die Reichweite verlieren, die mit der Bezahlschranke einhergeht, aber man möchte auch nicht die Leser*innen ausschließen, die schlicht nicht in der Lage sind, für den Text zu bezahlen. Das beste Modell in dieser Hinsicht ist das Solidaritätsmodell, wie es etwa beim Guardian (oder der taz) zum Einsatz kommt. Der Content ist größtenteils kostenlos, weil die, die können, dafür bezahlen. Es handelt sich allerdings auch um ein Konzept, das nur unter bestimmten Umständen funktioniert.
Was bedeutet das konkret für "Kultur & Kontroverse"? Zunächst einmal nicht viel. Es macht großen Spaß und ist ausgesprochen produktiv für mich, einmal die Woche die Dinge zu bündeln, über die ich eh nachgedacht hatte - und die Kommunikation mit den Leser*innen hilft dabei sehr. Gleichzeitig wäre es für diese Produktivität hilfreich, wenn sich irgendwann zumindest abzeichnen würde, dass Newsletter auch eine zusätzliche Einnahmequelle sein können, die in der ewigen Mischkalkulation geistiger Arbeit eine Rolle spielen. Ich denke, das gilt nicht nur für diesen Newsletter, sondern für die meisten Autor*innen, die in online Formaten Texte schreiben.
Nachrichten aus einer untergegangenen Zeit
Die guten Texte
An der Harvard University läuft seit einiger Zeit ein Konflikt über Fälle von sexualisierter Übergriffe eines Professors, inzwischen wurde auch eine Klage angestrengt. In diesem Kontext haben 38 teils sehr bekannte Wissenschaftler*innen einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie sich mit dem Professor solidarisierten. Inzwischen hat ein Großteil diese Unterschriften in einem weiteren offenen Brief wieder zurückgezogen. In diesem brillanten Text über den Fall werden die institutionellen Hintergründe analysiert. Cool und normal: Offenbar steigen ehemalige Generäle jetzt ins Self-Help-Buch-Business ein, wie in diesem Essay gezeigt wird: "Wie eine ungenannte Führungskraft der Deutschen Bank gegenüber der Washington Post erklärte, 'hört das obere Management viel eher auf Militärkommandeure, weil sie cool sind und Menschen getötet haben, als auf einen McKinsey-Typen im Nadelstreifenanzug'." Außerdem: Nostalgie als Totem. Dieser Text analysiert welche politische Hintergründe der Zorn von Fans haben kann, die behaupten, die Neuauflage von popkulturellen Erzählungen habe ihre Jugend ruiniert.
Und: ein Song.