Gebrüll, Liebe und Intendantenbeschimpfung
Kultur & Kontroverse ist ein Newsletter, in dem ich über kulturelle Konflikte der Gegenwart schreibe.
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Ein quälend langes Interview und seine Folgen
Das quälend lange Interview, in dem ein kultiger alter Kulturmann seine herrlich ungefilterten Weisheiten herausballern kann, gehört zu den lästigeren journalistischen Gattungen der Gegenwart. Der Meister dieser Form anlassloser Plauderei ist inzwischen Harald Schmidt, der in seiner aktuellen Schaffensphase ein trauriger professioneller Interviewgeber geworden ist, der kindisch herumprovoziert. In diese Kategorie fällt allerdings auch ein langes Gespräch, das die Berliner Zeitung Ende Mai mit Claus Peymann geführt hatte - dem ehemaligen Intendant des Berliner Ensembles.
Dort darf Peymann noch einmal alle Elemente des Rollenmusters "Theaterkraftkerl" inszenieren, der sich als Außenseiter und Rebell feiern lässt. An einer Stelle gibt es sogar einen hellsichtigen Moment, der dann aber nicht weiter verfolgt wird, nämlich als Peymann sagt: "Das ist die Paradoxie. Dass wir uns bezahlen lassen von den Mächtigen, um sie anzugreifen." Später im Gespräch erzählt er freimütig, dass er am Ende seiner Karriere fast 350.000 Euro im Jahr verdient hatte. Damit ist die "Paradoxie" auf den Punkt gebracht, denn für diese Art von Geld lassen die Mächtigen sicher keine wirksame Kritik zu, sondern, wenn überhaupt, die amüsante Simulation von Kritik, die den Mächtigen vor allem dazu dient, ihre Kritikfähigkeit auszustellen.
Die machttheoretische Leere dieser institutionellen Machtkritik ist im wesentlichen auch das heimliche Thema des Interviews. Das beginnt damit, dass die Berliner Zeitung fast stolz berichtet, Peymann habe das Gespräch eigentlich erst beleidigt abgelehnt ("haben Sie doch zwanzig Jahre lang unsere Arbeit am BE unermüdlich niedergemacht"). Das Gespräch kommt dann trotzdem zustande, weil Peymann seinen Bernhard-Abend promoten möchte. Diese Form der Kommunikation re-inzensiert das seltsam masochistische Verhältnis, das bis in die 1990er Jahre hinein das Verhältnis von Medien und Kulturkraftkerlen geprägt hat. Es hatte etwas Kultiges, sich von den großen Autoren (wie Handke, Bernhard, Strauß etc.) öffentlich etwas verachten zu lassen. Aus heutiger Perspektive wirkt diese Form von Autorinszenierung vor allem kindisch und unprofessionell.
Das Interview selbst existiert dann vor allem als Bühne für Namedropping (Brecht, Bernhard, Voss etc.). Peymann darf noch einmal erzählen, wie man damals mutig für die Zahnbehandlung der inhaftierten RAF-Leute Spenden gesammelt habe. Auch muffige Anekdoten wie diese werden erzählt: "Ich habe es nie so weit gebracht, wie der Brecht, der sich am BE ein Liebeszimmer mit zwei Türen eingerichtet hat. Wenn die Weigel an die eine Tür geklopft hat, konnte jemand anderes durch die zweite Tür entweichen." Der anachronistische Referenzrahmen evoziert die Nostalgie nach einer Zeit, in der männliche Helden das Theater und den Kulturbetrieb beherrschten, und in der die repräsentative Kommunikationsform das Brüllen war.
Denn ums Brüllen geht es auch, vielleicht vor allem. Gefragt nach den "Legenden", die um seine "Zornesausbrüche" umgehen würden, antwortet Peymann: "Ja, ich habe gebrüllt. Aber nur in größter Not, in schwachen Momenten, wenn ich nicht mehr weiterwusste. Ich brülle aus Liebe! Zu einer Liebesbeziehung gehört die Auseinandersetzung. Das Leben ist nicht harmlos, es ist Blut und Schrecken. Warum soll ausgerechnet das Theater ein Platz der Seligen sein?" Für die Schauspieler*innen sei das aber kein Problem gewesen, denn: "Und auch wenn sie vielleicht was anderes rumerzählen, die lieben mich auch, trotz oder wegen meiner Brüllerei."
Wenn ich das richtig verstehe, soll das heißen, dass die Schauspieler*innen vielleicht etwas anderes sagen würden, Peymann aber weiß, dass sie ihn trotz seiner Zornausbrüche geliebt haben. Darauf, was es bedeutet, über die Liebe anderer Leute auf diese Art zu spekulieren, möchte ich hier nicht weiter eingehen. Was hier reproduziert wird, ist der Geniemythos, der Übergriffigkeit durch ästhetische Hochleistungen legitimiert. Die Aussagen erinnern an den Fall des Dramaturgen und Autors Bernd Stegemann, der vor einiger Zeit rassistische Übergriffe an einem Theater dadurch rechtfertigen wollte, dass das Theater eben kein safe-space sei, und das eine bestimmte Form von Verhalten nötig wäre, um alles aus den Schauspieler*innen herauszuholen. Ich habe über diese toxische Kunstideologie hier geschrieben.
Theater scheinen für diese Art des Hierarchieverhaltens besonders anfällig zu sein. Wer mit Menschen redet, die am Theater arbeiten, oder gearbeitet haben, hört viele Anekdoten von übergriffigem, gewalttätigem Verhalten, das sich grundsätzlich aus einer vagen Kunst- und Genieideologie legitimiert. Die Vorstellung, dass große Künstler*innen, zumeist Regisseur*innen oder Intendant*inen, an einer Extremsituation partizipieren, die ein berserkerhaftes Verhalten nicht nur rechtfertigt, sondern sogar einfordert, gehört zum festen Haushalt der institutionellen Selbsterzählungen.
Im Fall Peymanns gab es nun aber Gegenwehr. Die Schauspielerin Mareile Blendl reagierte zunächst auf Facebook und dann auf ihrer Internetseite mit einem wütenden offenen Brief, der den Titel trägt: "Herr Peymann, nehmen Sie das zurück! Eine Intendantenbeschimpfung". Es erscheint kaum verwunderlich, dass es in Blendls Replik vor allem um die angemaßte Unterstellung von Liebe geht. "Ich habe Sie nie geliebt. Ich kenne auch keine Kolleginnen oder Kollegen, die das tun. Niemand wird gerne angebrüllt. Es ist kein künstlerischer Vorgang. Es ist Missbrauch. Von Macht."
Blendl erzählt in ihrem Brief von Demütigung und psychischer Gewalt, von Selbstmystifizierung und Wut: "Wir waren Ihnen ausgeliefert. Ihrer Gnade. Oder Ungnade: “Was spielst du denn da?! Arschloch!” Keine ungewöhnliche Anrede. Sie konnten es Sich leisten. Denn der Schauspieler, mit dem Sie so gesprochen haben, der war ja unfähig Ihre Visionen umzusetzen. Unbegabt! Und selber schuld, dass man ihn beschimpft."
Es ist verwunderlich, dass dieser Vorgang in den Feuilletons bisher kaum vorkam. Denn die Kunstideologie, um die es in dieser Auseinandersetzung geht, richtet nach wie vor großen Schaden an, wie die zahlreichen Theaterskandale der letzten Jahre zeigen. Der Fall gehört in die Geschichte eines ästhetischen-ethischen Missverständnisses, das das brüllende Genie als wichtigen Akteur inthronisiert hat. Es würde sich lohnen, diese Geschichte einmal aufzuarbeiten.
Ein gutes Webcomic
Die guten Texte
In diesem spannenden Text geht es um E-Pimps, die OnlyFans-Accounts junger Frauen managen und dabei auch die Kommunikation mit den Kunden übernehmen - natürlich für eine hohe Gebühr. Anlässlich einer neuen Pinocchio-Verfilmung schreibt Joan Acocella über die die Herkunft der Figur, und darüber, wie creepy das Buch ist, auf dem die Filme beruhen. Eines der größten Datenleaks des CIA ist offenbar dadurch entstanden, dass man dort die schlimmste Person der Welt angestellt hat (der Artikel enthält Beschreibungen sexualisierter Gewalt). Patrick Radden-Keefes lange Reportage zeichnet auch das Sittenbild einer Arbeitskultur, die auf dem Geniemythos des Silicon Valley beruht:
"Wir leben in einer Zeit, die von den eigensinnigen Impulsen technisch begabter, aber emotional unausgereifter Männer geprägt ist. Von den Furzkissen-Possen eines Elon Musk bis zur panglossischen Unerbittlichkeit eines Mark Zuckerberg dominiert diese Zeit ein bestimmtes Persönlichkeitsprofil: der Kinderkaiser. Während ich diesen Artikel schrieb, habe ich mich oft gefragt, wie die CIA die offensichtliche Volatilität seines Profils übersehen konnte, als sie Schulte einstellte und ihm eine Sicherheitsfreigabe erteilte. Um einen Job bei der Agency zu bekommen, musste Schulte eine Reihe von Tests absolvieren, aber als seine Anwälte versuchten, das psychologische Profil zu erhalten, das die Agentur über ihn erstellt hatte, wollte die CIA es nicht herausgeben. Vielleicht hat die Behörde, als sie begann, sich mit digitaler Spionage zu befassen und ihre Hacking-Fähigkeiten ausbauen wollte, Eigenschaften wie emotionale Stabilität und Gelassenheit vernachlässigt und die Augen vor den erratischen oder antisozialen Tendenzen verschlossen, die im Silicon Valley weithin akzeptiert sind (und sogar als Preis für Genialität angesehen werden). Möglicherweise war die Behörde in Bezug auf Schultes zerstörerisches Potenzial blind, weil sie zu dem Schluss gekommen war, dass dies einfach das Verhalten von Programmierern sei."
Und: ein Song.