Die Hilflosigkeit medialer Tugenden
Seit August dieses Jahres schreibe ich eine monatliche Kolumne bei “Übermedien”, die den Titel “Erregung und Ärgernis” trägt. Darin beschäftige ich mich mit der Art und Weise, wie Medien erzählen und von welchen affektpolitischen und systemischen Mechanismen sie dabei angetrieben (bzw. vor sich hergetrieben) werden. Dabei geht es viel um Hilflosigkeit und Konventionen und wie die Tugenden, die in den Qualitätsmedien den professionellen Habitus prägen, zu einer Art Untugend geworden sind. Gerade der unfassbare erneute Erfolg Donald Trumps muss - nachdem die erste Schockstarre, die zumindest mein Umfeld gerade noch im Griff hat - als Medienversagen in den Blick genommen werden.
Gleich in der ersten Ausgabe von “Erregung und Ärgernis” habe ich mich mit der aufmerksamkeitsökonomischen Falle beschäftigt, in der Journalist:innen fast automatisch sitzen. Man schreibt der Aufmerksamkeit der Rezipient:innen hinterher, die nicht unbedingt den relevantesten gesellschaftlichen Themen folgt. Warum waren (und sind) die Medien voll von Geschichten über “Cancel Culture”, obwohl diese Geschichten oft auf anekdotischer Evidenz beruhen und in Bezug auf die großen Fragen der Gegenwart mehr oder weniger unerheblich sind? Weil sie für Klicks, Views und Verkäufe sorgen. Das journalistische Erzählen folgt in dieser Hinsicht dem narrativen und affektpolitischen Hedonismus seiner Konsumenten. Damit ist der Journalismus oft hilflos gegen “Polarisierungsunternehmer”, die diesen Hedonismus befriedigen. Man will rechten Clowns keine Aufmerksamkeit geben, aber tut es eben doch.
Diese Hilflosigkeit zeigt sich auch in Bezug auf eine Figur wie Elon Musk, der seit Jahrzehnten mit dem verlässlichen narrativen Muster “Genie und Wahnsinn” hochgeschrieben wurde (Text bei Übermedien hier). Dieses Muster hat sich dermaßen eingeschliffen, dass der Mythos seines Genies weiter reproduziert wurde, selbst nachdem die Gefahr, die dieser Mann darstellt, auch dem letzten Beobachter klar gewesen sein muss. Der Wahnsinn zahlt trotzdem weiter auf das Genie-Konto ein.
Die schlimmste mediale Hilflosigkeit hat sich allerdings in Bezug auf Donald Trump gezeigt - eine Figur, die von den Qualitätsmedien systemisch normalisiert wurde. In den USA wurde dafür der gute Begriff des “Sanewashing” geprägt. Ich habe in der letzten Ausgabe von “Erregung und Ärgernis” darüber geschrieben.
Angesichts dieser narrativen Hilflosigkeit haben die Kulturwissenschaften die Aufgabe, ihre Erkenntnisse und Begrifflichkeiten auf den Bereich des medialen Erzählens anzuwenden. Eine Frage, über die in Zukunft noch viel mehr nachgedacht werden muss, ist der Zusammenhang von Erzählen und Geld. Das Geld schreibt nicht nur im Fall von Literatur, sondern auch im Fall des Journalismus immer mit am Text. Das dürfte zahlreichen Menschen klar geworden sein, als der Besitzer der “Washington Post” Jeff Bezos kurz vor der Wahl das bereits fertige Endorsement für Kamala Harris wieder kassierte. Der Wahlspruch den sich die Zeitung Jahre zuvor gegeben hatte - “Democracy Dies in Darkness” - wurde im Angesicht der brutalen machtpolitischen Fakten in diesem Moment als liberaler Kitsch entlarvt.
Wie gehen Sie mit den Aufmerksamkeitsökonomischen Problemen der Gegenwart um? Schreiben Sie es mir gerne in die Kommentare.
Wut und Wertung
In der Sendung “Westart” im WDR war ich mit meinem Buch “Wut und Wertung. Warum wir über Geschmack streiten” zu Besuch. Man kann den kurzen Beitrag, der einen Rundgang durch die Bonner Kultur - vom Plattenladen zur Oper zur Bundeskunsthalle - nachstellt, hier anschauen. Der Dreh hat (wie das üblich ist) sehr lange gedauert, war aber auch sehr interessant. Man schreitet viel gedankenverloren und schaut sich interessiert Sachen an. Danach nimmt der Kameramann eine ‘Subjektive’ auf, also den eigenen Blick auf die Dinge, die man gerade betrachtet hat.
Die guten Texte
Wie schreibt man darüber, wenn einem Gewalt widerfahren ist? Kuku Schrapnell hat für 54books einen großen Essay über die politische, intellektuelle und emotionale Arbeit geschrieben, die mit einer solchen Erfahrung verbunden ist.
Wer waren die Brüder Grimm? Eine neue Biografie der beiden wird im “New Yorker” rezensiert.
Ein brillanter Text von John Lanchester im “London Review of Books” über zwei neue Bücher über die Perversionen des Finanzsystems.
Danke für diesen Beitrag! Ich ärgere mich schon lange über die Normalisierung, auch schon bevor sich der Begriff verbreitet hat. Ich erinnere mich, dass ich Anfang Januar im CiF des Guardian geschrieben habe, dass ich die dreifache Lüge, dass Trump ein erfolgreicher self-made business man und Milliardär sei. Inzwischen wissen alle keinen Erfolg hat, kein Geschäftsmann ist und schon gar kein Milliardär. Aber der Guardian gehört am Ende zu den besseren Medien.
Und damit ist klar, dass ich auch keine Antwort habe. Die Wahrheit schafft es leider immer erst in die Massenmedien, wenn sie irrelevant geworden ist.