Ein Schuft, wer noch auf Spotify ist
Kultur & Kontroverse ist ein Newsletter, in dem ich über kulturelle Konflikte der Gegenwart schreiben möchte. Die spannendsten Konflikte finden heute im medienübergreifenden, oft digitalen Getümmel statt. Wer sich für Streitereien und Debatten über Bücher, Filme, Musik, Serien und viele andere Dinge, die uns entzweien, interessiert, der ist hier an der richtigen Stelle.
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Joe Rogan vs. Neil Young
Letzte Woche stellte der Musiker Neil Young Spotify ein Ultimatum: Joe Rogan oder ich. Joe Rogan ist ein Podcaster, der seit 2020 einen Vertrag mit der Plattform hat, wo sein Format The Joe Rogan Experience exklusiv erscheint. Das hat Spotify ungefähr 100 Millionen Dollar gekostet. Rogan, der seine Anfänge als Comedian hatte, geriert sich in seiner Sendung als zwanghafter Non-Konformisten, der unbequeme Wahrheiten thematisiert und gegen 'Cancel Culture' kämpft. Er folgt dabei der bekannten ästhetischen Konvention eines politisch vagen Populismus.
Wie die Kultur- und Politikgeschichte der letzten Jahrzehnte schmerzhaft gezeigt hat, handelt es sich um eine der erfolgreichsten Ästhetiken der Gegenwart. Mit einer ähnlichen Mischung aus Trollen, gezielter Transgression und einem vagen Humor erzielen vor allem rechte Politiker gerade einen Sieg nach dem anderen. Insbesondere der Humor dient dazu, im Fall eines Normbruchs, der für den Witzemacher tatsächlich gefährlich werden könnte, strategisch zurückzurudern. Es war ja nicht so gemeint, ich bin doch nur ein Clown etc. (Emily Nussbaum hat bereits 2017 einen brillanten Essay darüber geschrieben, welche Rolle Humor in rechter Politik spielt.)
Der Grund, warum Neil Young nun seine Musik von Spotify zurückgezogen hat, ist, dass Rogan in den letzten Jahren immer wieder gefährlichen Unsinn über Covid und die Impfungen verbreitet hat. Im September 2021 war er etwa einer derjenigen, die die eigene Erkrankung mit dem Pferdeentwurmungsmittel Ivermectin behandelt hat (Korrektur: Eine Leserin hat mich freundlicherweise darauf hingewiesen, dass das Medikament keineswegs nur für Pferde eingesetzt wird. Hier bin nun wiederum ich auf ein populäres Narrativ reingefallen.), und in seinen Podcast wurden immer wieder Anti-Vax-Stimmen eingeladen. Ärger - auch mit Spotify - gab es aber bereits zuvor. Immer wieder waren unappetitliche Gäste bei Rogan zu Besuch, wie etwa die rechtsradikalen Kommentatoren Alex Jones, Milo Yiannopoulos oder Gavin McInnes - immer unter dem Deckmantel der offenen und konfrontativen Debatte.
Nachdem Neil Young seinen Abgang wegen Rogan bekannt gegeben hatte (“They can have Rogan or Young. Not both.”), folgte ihm bald danach Joni Mitchell. Zu diesem Zeitpunkt war die Kontroverse bereits ein mediales Ereignis, das auf Social Media heftige Wellen schlug, und schnell auch zum Gegenstand zahlreicher Memes wurde.
Die Geschichte erscheint noch lange nicht abgeschlossen, ist aber jetzt schon ein spannender Modellfall für eine Kultursoziologie der Gegenwart. Denn hinter dem Streit um Falschinformationen steht ein Kampf um Macht, der in vielfacher Hinsicht repräsentativ für die Verschiebung im institutionellen Gefüge der Gegenwartskultur erscheint.
Macht wird erzeugt durch Sichtbarkeit, durch die Akkumulation von Aufmerksamkeit als Ressource: Follower, Klicks, Zuschauer, Abonennt*innen etc. bilden soziales Kapital als Massenwährung, die nicht mehr darauf beruht, wen man kennt, sondern wie viele. Und Joe Rogan hat mit seinem DIY Podcast eine ungeheure Menge davon zusammengeschleppt. Die Sendung hat angeblich 11 Millionen Hörer pro Folge und gesendet wird mehrmals die Woche. Damit ist er, wie es in einem Porträt der New York Times hieß, "eines der am meisten konsumierten Medienprodukte der Welt - mit der Macht, Geschmäcker, Politik und medizinische Entscheidungen zu beeinflussen."
Das ist, wenn man einen Schritt zurücktritt, eine ziemlich verwunderliche Entwicklung, die ohne die Digitalisierung und den mit ihr einhergehenden neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit nicht möglich gewesen wäre. Dass ein Mensch mit einem Youtube-Format zu einem der "am meisten konsumierten Medienprodukte der Welt" aufsteigt, erscheint nach wie vor fast unglaublich und bezeichnet eines jener mediengeschichtlichen Phänomene, die die etablierte Kultur nach wie vor vollkommen zu überfordern scheint. (Allerdings kommt auch diese Entwicklung nicht aus dem nichts. Medienwandel und Populismus gehen eigentlich immer Hand in Hand: Neue Medien haben oft die Freiheit, mit Populismen eine populäre Nachfrage zu erfüllen. Nächste Woche möchte ich hier über einen spannenden Podcast schreiben, der die Geschichte des Right-Wing Talk-Radios erzählt - eine Geschichte, die zahlreiche Phänomene der Gegenwart vorwegnimmt.)
Gleichzeitig zeigt die Kontroverse um Rogan und Neil Young allerdings auch die Macht des klassischen kulturellen Kapitals. Eine Plattform wie Spotify, die darauf beruht, dass sie Kunst an eine möglichst große Menge an Menschen weiterverkauft, ist von dem gesellschaftlich hohen Prestige dieser Kunst betroffen. Neil Young und Joni Mitchell haben natürlich nicht im Ansatz die gleich Reichweite wie Rogan, allerdings verfügen sie über kulturelle Autorität, die durch ihre ästhetische Geltung legitimiert wird.
Wie umfangreich dieses kulturelle Kapital ist, zeigt sich auch daran, dass Rogan, dessen Marke darauf beruht, öffentliche Kämpfe mit großer Energie auszukämpfen, auf eine uncharakteristisch harmoniebedürftige Art zurückgerudert ist. In einer kleinlauten Stellungnahme bezeichnetet er sich als Neil Young-Fan und war sichtlich bemüht, den Konflikt wieder aufzulösen. Er zeigte sogar Verständnis dafür, dass Spotify in einem Versuch der Vermittlung die problematischen Folgen seines Podcasts mit zusätzlichen Informationen markieren möchte.
Auf einer viel basaleren Ebene zeigt sich die Macht des klassischen kulturellen Kapitals darin, dass der Aktienwert von Spotify im Verlauf der letzten Woche eingebrochen ist. Der Verlust an Prestige kann also auch in der Plattformökonomie einen unmittelbaren Verlust an ökonomischem Kapital zur Folge haben (allerdings ist der Kurs schon wieder zurückgeschnellt). Was hier gegeneinander ausgespielt wird, sind die Macht des neuen sozialen Kapitals der digitalen Aufmerksamkeit und die alte Macht ästhetischer Autorität.
Zudem zeigt sich, dass die Frage, wo wir unsere Musik hören, einen eminent politischen Charakter bekommen hat. Auf Twitter gaben User*innen bekannt, dass sie Spotify jetzt aus Protest verlassen würden. Die Konkurrenzplattform Tidal begleitete diesen Prozess mit einem eigenen Werbeschub, um sich als Rogan-freie Alternative anzubieten, wo Neil Young noch vorhanden sei. So wird die Frage des digitalen Konsums politisiert und die Frage nach den ästhetischen Vorlieben ideologisch aufgeladen.
Dazu gehört auch, dass die Debatte zu einer Bühne für Bekenntnisse und vor allem den Druck von Bekenntnissen wurde. Musikerinnen wie Taylor Swift etwa wurden aufgefordert, ebenfalls in Solidarität mit Young und Mitchell Spotify zu verlassen. In den ästhetischen und politischen Konflikten der Gegenwart sehen sich die Fans als eine Macht, die über emotionale und ökonomische Investition in eine Künstler*in ein Mitspracherecht in Bezug auf deren ideologische Verortung erworben haben. Man behandelt Künstler*innen im wesentlichen wie politische Parteien, deren Mitglied man ist, und von deren Entscheidungen man enttäuscht sein kann. Wie das aussieht, zeigt etwa der folgende Tweet, der die Hoffnung artikuliert, Taylor Swift möge sich einmischen und gleichzeitig die überlegene Macht der Musikerin beschwört. Andere Tweets wiederum verteidigen die Sängerin gegen diesen Anspruch, der als übergriffig eingeschätzt wird.
Man kann sich wirklich nur sehr wundern, dass die Verantwortlichen bei Spotify diese Entwicklungen nicht vorausgesehen haben. Mit dem reichweitenstarken Podcast hat man sich jedenfalls ein extrem schwieriges Problem eingekauft. Denn es gehört zum Fluch der digitalen Reichweite, dass man sie nicht kontrollieren kann. Selbst Rogan kann das nicht. Angenommen Spotify würde seinen Podcast wieder aus dem Programm verbannen, dann würde man Gefahr laufen, damit einen ungeheuren gewalttätigen Backlash zu provozieren. Gerade ein Format, das auf der strikten Ablehnung dessen beruht, was in der rechten Dogmatik als 'Cancel Culture' bezeichnet wird, hat eine Gruppe von Fans, die nur darauf wartet, in extremen Formen auf die eigene Cancellation zu reagieren. Damit hat Spotify sich selbst in die Haft eines Fandoms genommen, das - im Gegensatz zum Pop-Fandom - eine Tendenz zu echter Gewalt besitzt.
Rogen selbst, der natürlich auch aus ökonomischen Interessen handelt, ist vorerst wieder in das Kostüm des Unterhalters und Clowns geschlüpft, der einfach nur für Debatte sorgen und unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen lassen wollte. Es wird sich zeigen, ob seine Zuhörer bereit sind, dieses Spiel mitzuspielen, oder ob sie auf diesen strategischen Unernst mit Ernst reagieren werden.
Plattenspieler als Widerstand?
Im Kontext der Debatte um Spotify wurden im übrigen auch ein paar andere Kämpfe um die zeitgenössische Plattformökonomie durchgekämpft. Dazu gehörten auch Tweets wie dieser, die dann halb in Richtung eines Analogfetisches gingen, der als Widerstand gegen die ausbeuterischen Streaming-Dienste inszeniert werden konnte.
Ein gutes Webcomic
Die guten Texte
War Buster Keaton besser als Charlie Chaplin? Dieser Essay hat darauf keine Antwort, ist allerdings trotzdem spannend und informativ. Der 'Davos-Man' bezeichnet eine besonders ärgerliche Art von Superreichem, der sich nicht nur auf Kosten anderer die Taschen voll macht, sondern dann auch noch für seine Almosen gelobt werden möchte. Hier ein Porträt dieses Typus. Außerdem: Eine spannende Analyse der Karriere des Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff, die auch die Wirkung seines Buches Ganz Unten aufarbeitet.
Und: ein Song.