Die mediale Dummheit der anderen
Warum das Zeitalter der Wahrheit vorerst wohl noch nicht vorbei ist.
Wenn dir dieser Newsletter gefällt, kannst du ihn auf folgende Arten unterstützen. 1. Empfiehl ihn gerne weiter oder teile ihn in den Sozialen Medien. 2. Unterstütze ihn per Paypal oder schließ ein Abo ab.
Donald Trump wurde verhaftet
In den letzten Wochen kursierte das Gerücht, dass Donald Trumps Verhaftung kurz bevorstehe. Bald gab es auch Bilder davon, die in den sozialen Medien die Runde machten, und in denen Trump dabei zu sehen war, wie er von einer Gruppe von Polizisten abgeführt wurde und sich dabei heftig wehrte. Diese Bilder waren offensichtlich als K.I.-Schöpfungen zu erkennen, erregten aber trotzdem heftiges Händeringen über die Bedrohung der neuen Bildmanipulation. Ist es nicht gefährlich, so mit Bilder spielen zu können? Wird es dadurch nicht noch einfacher, Fakten zu manipulieren und die an sich schon polarisierte Gesellschaft weiter zu spalten?
Charlie Warzel hat über die Panik, die diese Bilder ausgelöst haben, für den Atlantic geschrieben. Er stellt fest, dass trotz der großen Aufmerksamkeit, die die Bilder des verhafteten Trumps erzeugt haben, wenige Menschen wirklich darauf hereingefallen sind. Irritation haben die Bilder vor allem deshalb ausgelöst, weil sie die Angst schüren, andere könnten sich täuschen lassen. Dieses Konzept wird als third-person effect bezeichnet. Medienpaniken entstehen demnach selten durch die Angst, selbst zum Opfer einer Täuschung zu werden, sondern beruhen auf der Befürchtung, dass andere sich zum Narren halten lassen. Warzel weist auf eine Studie hin, die zeigt, dass der third-person effect mit einem gesteigerten Selbstbewusstsein in die eigene Immunität gegen Fälschungen einhergeht. Je weniger Vertrauen wir also in die Medienkompetenz der anderen haben, desto höher ist unser Selbstvertrauen. Warzel schreibt:
“Der Trump-AI-Kunst-Nachrichtenzyklus scheint die perfekte Illustration dieser Phänomene zu sein. Es handelt sich um ein echtes Pseudo-Ereignis: Ein gefälschtes Bild gelangt in die Welt; besorgte Menschen verstärken es und bezeichnen es als gefährlich für ein vermeintlich gefährdetes Publikum, das es vielleicht gar nicht gibt; Nachrichtenberichte greifen diese Bedenken auf.”
Die Geschichte der Trump-K.I.-Bilder verweist auf ein grundsätzliches Problem des gequälten Diskurses um den angeblich bedrohten Status von Fakten in der “post-faktischen” Gegenwart. Wir gehen immer davon aus, im Besitz der realen Fakten zu sein, im Gegensatz zu den bedauernswerten Narren, die auf einfache Fakes hereinfallen. Sich für klüger, für weniger verarschungsanfällig als alle anderen Menschen zu halten, ist eine anthropologische Grundkonstante. Es handelt sich höchstwahrscheinlich um den Grund, warum Menschen überhaupt betrogen werden: ein übersteigertes Selbstvertrauen in die Kohärenz der eigenen Epistemologie. Man muss kein Radikalkonstruktivist sein, um sich von der Tatsache beunruhigt zu fühlen, dass irgendwo Menschen sitzen, die an die Flat-Earth-Theorie glauben und die Hände darüber ringen, wie leicht täuschbar ihre Mitmenschen sind.
Aus dieser Perspektive erscheint die Medienpanik, die durch K.I.-Bilder erzeugt wird wie eine Verlängerung dieser epistemologischen Eitelkeit. Das Problem von “Fake News” wäre dann vor allem durch einen Mangel an Medienkompetenz und machtvolle technische Instrumente der Täuschung zu erklären. Wir leben demnach in einer Krise der Repräsentation, die durch Medienmanipulation ausgelöst wurde, und die zu einer verzerrten Realitätswahrnehmung führt. Der Erfolg von Falschinformationen über Covid wäre z.B. dadurch zu erklären, dass Menschen mit einer geringen Medienkompetenz schutzlos den Täuschungen der Sozialen Medien ausgesetzt sind.
Diese Analyse scheint mir allerdings auf Wunschdenken zu beruhen. Gerade die Erfahrungen der letzten Jahre sollten doch gezeigt haben, dass Menschen nicht auf Fehlinformationen hereinfallen, weil sie dumm sind, oder weil die Manipulation so brillant war, sondern weil sie darauf hereinfallen wollen. Fakten haben für die meisten Menschen keinen intrinsischen Wert, sondern eine handfeste Funktion. Man will, dass die Fakten die eigenen (politischen) Wunschvorstellungen bestätigen. Das zeigte sich auf beeindruckende Art und Weise in der Berichterstattung über den Prozess, den der Hersteller von Wahlmaschinen Dominion gerade gegen den TV-Sender Fox News führt. Der Vorwurf lautet, dass Fox bewusst Falschinformationen über die Wahl vermittelt habe.
In diesem Prozess stellte sich heraus: Den Kommentatoren des Senders war klar, dass sie Lügen über die Wahl verbreiteten. Die Motivation dahinter war die Angst, Zuschauer:innen zu verlieren und diese Angst verweist auf eine realistische Vorstellung davon, was das Publikum von Nachrichten erwartet. Man will eine Geschichte erzählt bekommen, die die eigenen Hoffnungen, Wünsche und Ressentiments bestätigt. Medien arbeiten nachfrageorientiert, im Fall eines politischen Senders wie Fox News ist diese Nachfrageorientierung so stark, dass sie das gesamte Programm des Sender bestimmt. Fox ist ein spektakuläres Beispiel für ein Medium, das durch das narrative Bedürfnis seines Publikums beherrscht wird. Es ist ein Verhältnis gegenseitiger Manipulation. Es ist ein Extrembeispiel, das allerdings auf eine allgemeine Struktur medialer Kommunikation verweist.
Fälschungen, Fake News, Manipulationen, politische Lügen - all das hat es schon immer gegeben. Ihr Erfolg ist dabei selten von der Brillanz medialer Gestaltung abhängig, sondern davon, wie hoch die Nachfrage nach einem bestimmten Faktum ist. Wenn Menschen wirklich dringend an etwas glauben wollen, dann muss man sich beim Faken wenig Mühe geben. Das erstbeste Beispiel, das mir dazu einfällt, ist eine der vielen peripheren Geschichten tölpelhafter, aber erfolgreicher politischer Manipulation während der Obama-Ära, die inzwischen sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag hat. Obama hatte 2012 (unschuldige Zeiten!) während einer Rede über die Bedeutung staatlicher Infrastruktur gesagt, dass man als Unternehmer auf Brücken und Straßen angewiesen sei, die man nicht selbst gebaut gebaut habe: “You didn't build that.”
Es handelt sich um ein normales linksliberales Argument, das allerdings von Obamas politischen Gegnern aus dem Kontext gerissen wurde, die ihm vorwarfen, er habe Unternehmern ins Gesicht gesagt, sie hätten ihre Unternehmen nicht selbst aufgebaut - ein Satz, der mindestens leistungsfeindlich gelesen werden müsse, aber vielleicht sogar eine kommunistische Haltung andeute, die auf Enteignung und Schlimmeres hinausläuft. Diese transparente Fehlinterpretation wurde politisch effektiv ausgeschlachtet. Der Konvent der Republikaner fand unter dem Motto “We built it” statt und es gab sogar einen Country Song, der diesen Titel trug. Soweit, so albern.
Das Beispiel zeigt vor allem, wie wenig Aufwand man bei einer Fälschung betreiben muss, wenn das politische Bedürfnis nach dem konstruierten Faktum nur groß genug ist. Kein Deep Fake oder andere aufwendige technische Manipulationen waren nötig, um Obama diese Aussage in den Mund zu legen. Alle Informationen, die nötig gewesen wären, um diese Fälschung zu entlarven, standen öffentlich zur Verfügung. Zudem wurde die Kampagne mehrfach von Fact-Checkern widerlegt. Die Menschen, die trotzdem glaubten, Obama habe gesagt, Unternehmer hätten ihre Unternehmen nicht selbst aufgebaut, wurden nicht von brillanten Fälschern hinters Licht geführt, weil sie zu dumm waren, die Fälschung zu durchschauen, sondern weil es sich um eine Geschichte handelt, die dringend gebraucht wurde.
Die meisten faktualen Aussagen stehen unter einem recht niedrigen Evidenzdruck. Wir haben kaum die Möglichkeit, alles, was uns mit dem Anspruch der Wirklichkeitserzählung vermittelt wird, auch eigenhändig zu überprüfen. Wenn uns jemand eine Geschichte erzählt oder wir einen Artikel in einer Zeitung lesen, dann haben wir mehr oder weniger Vertrauen in die Person, die erzählt und in das Medium, in dem erzählt wird. Die Glaubwürdigkeit einer Geschichte beruht nichts so sehr auf der Ästhetik der Präsentation, sondern auf der Vertrauenswürdigkeit der Quelle.
Ein Mensch, der seit 20 Jahren seine FAZ liest, wird davon ausgehen, dass das meiste, was in dieser Zeitung steht, stimmt. Diese Annahme beruht nicht darauf, dass er jeden Artikel eigenhändig verifiziert, sondern auf Vertrauen. Faktualität als Status einer Mitteilung funktioniert deshalb in den meisten Fällen reibungslos, weil wir eine Reihe von etablierten Institutionen der Wahrheit haben, denen wir ohne viele Voraussetzungen glauben. Allerdings haben die meisten Menschen auch ein gesundes Misstrauen. Der FAZ-Leser z.B. wird wissen, dass die Bildzeitung lügt und dass man nicht jeden Blödsinn glauben darf, der im Internet steht. Auch das beruht nicht auf eigener Recherche, sondern auf etablierten Konventionen des Vertrauens. Wenn dieser Leser auf Twitter ein fast fotorealistisches Bild davon sieht, wie Donald Trump verhaftet wird, dann wird er direkt auf die Internetseite der FAZ gehen, um zu checken, ob das dargestellte Ereignis real ist oder nicht.
Problematisch wird es in dem Moment, in dem er das nicht mehr tut, weil er das Vertrauen in seine FAZ verloren hat. Der aktuelle Moment der politischen Verwirrung wurde nicht durch eine Krise der Repräsentation ausgelöst, sondern durch eine Krise der Medien als Institutionen der Wahrheit. Dafür braucht es keine brillante Bildmanipulation. Diese Manipulation hat es immer gegeben und oft waren es die tölpelhaftesten und unplausibelsten Fälschungen, die den meisten Erfolg hatten. Das bedeutet natürlich nicht, dass es keinen Grund zur Sorge gibt, was die Möglichkeiten von K.I. angeht. Je einfacher und schneller man Bilder manipulieren kann, desto größer ist die Gefahr, dass die Nachfrage nach einer Geschichte, die Ressentiments oder politisches Wunschdenken bestätigt, effektiv befriedigt werden kann.
Während ich diesen Text schreibe, beginnt auf Twitter ein Meme zu explodieren, das sich über Tweets lustig macht, die sich darüber sorgen, dass ein Bild des Papstes mit einer unmöglichen Jacke nicht als Fake erkannt wurde. Insbesondere ein Tweet, der die Formulierung enthält “Das Zeitalter der Wahrheit ist vorbei” wurde gestern vielfach parodiert. Unter anderem hier, hier, hier und hier. Was in diesem Fall für den Spott sorgt, ist gerade die Medienpanik, die davon ausgeht, dass eine täuschungsanfällige Öffentlichkeit unter der Last der neuen Technik endgültig epistemologisch zusammenbrechen wird.
Ein guter Webcomic
Ein gutes Buch
Und nun etwas Werbung. Meine gute Freundin Berit Glanz hat ein kurzes tolles Buch über Filter geschrieben. Es ist bei Wagenbach in der Reihe “Digitale Bildkulturen” erschienen und für einen kleinen Preis zu bekommen.
Vermischtes Unkraut auf dem literarischen Feld
Auf Twitter sorgte dieser Post für Furore, der offenlegte, dass man beim Tagesspiegel nur 90 Euro für einen Feuilletonaufmacher bekommt. D.T. Max schreibt im New Yorker über einen Autor, der (neben vielen anderen Fabrikationen) seine kubanische Herkunft gefälscht hat. Für Empörung sorgte eine Aktion des Verlags Kiepenheuer & Witsch, der sich auf seinem Instagram Account über unverlangt eingesandte Manuskripte lustig machte. Inzwischen hat der Verlag die Rubrik begraben, allerdings haben sich auch schon Verteidiger der Aktion gefunden. Wieder einmal hat eine Preisverleihung eine Debatte in der deutschen Lyrikszene ausgelöst. Anlässlich des Literarischen März in Darmstadt holte Max Czollek unter dem Titel “Verschlossenes Land” zu einer Polemik gegen den exklusiven Betrieb aus. Das brachte ihm eine scharfe Reaktion ein, die zunächst auf Facebook und später auch bei lyrikkritik.de veröffentlicht wurde. Eine Lehrerin aus Ulm weigert sich, mit ihren Schüler:innen Wolfang Koeppens Roman Tauben im Gras zu lesen, der rätselhafterweise Schullektüre ist. Damit wurde die monatliche Cancel-Culture-Debatte losgetreten, die inzwischen offenbar ganze Teile des Kulturjournalismus alleine aufrecht erhält. Und: Der Berühmte Manuskript-Dieb Filippo Bernardini wurde verurteilt. Sein Motiv bleibt weiter unklar: Er wollte angeblich einfach nur lesen.
Ein gutes Video
Die guten Texte
Im New Yorker schreibt Jia Tolentino über die Abnehmdroge Ozempic und wie sie die Vorstellung von Schönheit und Leistung in der Gegenwartskultur verändern könnte.
Auf 54books schreibt Peter Hintz über Dirk Oschmanns eigentümliches Buch Der Osten.
Einen Abgesang auf die Ära des unbegrenzten hochqualitativen Streamings findet man bei Slate. Inzwischen dreht sich das Rad der Mediengeschichte zurück zu den schlimmsten Formen, Content zu senden. Nach “Peak-TV” kommt “Trough-TV”.
Wer an einen Text nicht kommt oder weiter diskutieren möchte, sollte in den 54books Discord eintreten. Aus dem Discord ist z.B. direkt dieser sehr gute Thread entstanden. Neue Songs gibt es hier in der “Kultur & Kontroverse” Playlist. Letzte Woche war ich bei der Kulturpolitischen Gesellschaft zu Besuch, um über die Zukunft des Kulturjournalismus zu sprechen.
Die guten Tweets
Ein Seriengeheimtipp
Keep reading with a 7-day free trial
Subscribe to Kultur & Kontroverse to keep reading this post and get 7 days of free access to the full post archives.