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Ein sehr brauchbarer Begriff
Wir befinde uns nach wie vor in der aufmerksamkeitsökonomischen Geiselhaft des spät-adoleszenten Meltodowns eines gewissen Elon Musk. Die neuste Manifestation betrifft auch diesen Newsletter, denn Twitter befindet sich seit einer Woche in einem offenen Krieg mit Substack - der Plattform, wo “Kultur & Kontroverse” erscheint. Der Grund für diesen Krieg ist der Verdacht, dass Substack mit seinem geplanten “Notes”-Feature eine Konkurrenzplattform für Twitter aufbauen möchte. Das kann in der Monopolwirtschaft der Plattformökonomie natürlich nicht zugelassen werden, weswegen man eine Zeit lang Links zu Substack auf Twitter weder liken noch retweeten konnte und diese Links als “unsicher” markiert waren, ein bewusster und effektiver Versuch, den Nutzer:innen von Substack zu schaden. Nach wie vor kann man in die Newsletter keine Links einbetten, was - wie man gleich bei der Lektüre sehen wird - ganz neue Probleme mit sich bringt.
Der Fall ist ein fast perfektes Beispiel für das, was der Autor Cory Doctorow in einem brillanten Essay die “Enshittification” des Internets genannt hat. Was ist damit gemeint? Digitale Plattformen haben eine fast zwangsläufige Tendenz, zu verrotten. Dieser Vorgang läuft, wie Doctorow beschreibt, folgendermaßen ab: “Zuerst behandeln sie [die Plattformen] ihren Nutzer sehr gut; dann instrumentalisieren sie ihre Nutzer, um die Dinge für ihre Geschäftskunden besser zu machen; schließlich instrumentalisieren sie diese Geschäftskunden, um den gesamten Profit für sich selbst zu behalten. Dann sterben sie.”
Beispiele lassen sich überall finden. Die ersten Einträge bei jeder Google-Suche sind inzwischen gesponsort, das heißt, nicht die besten Suchergebnisse werden angezeigt, sondern die, für die ein Unternehmen am meisten gezahlt hat. Ähnlich verhält es sich auch bei Amazon, das ja immerhin keinen Service verkaufen, außer die Möglichkeit Dinge zu verkaufen und zu kaufen. Und doch bekommt man hier nicht zunächst die besten Suchergebnisse für ein Produkt, sondern die Produkte von Herstellern, die Amazon die meisten Gebühren bezahlen. Über die “Junkification” Amazons kann man im New York Magazine einen spannenden Artikel lesen.
Auch und gerade Soziale Netzwerke unterliegen dieser Tendenz. Facebook, Twitter und TikTok werden immer stärker überladen und optimiert, um noch mehr Engagement und Werbeeinnahmen zu erzeugen. Dabei wird die Qualität der Plattformen, die Nutzerfreundlichkeit, die Qualität des Content, immer mehr zerstört. Facebook etwa erinnert nicht nur inhaltlich, sondern auch ästhetisch inzwischen an eine Klowand in einer alten Kneipe, voller Aufkleber und Graffitis, die für Ereignisse werben, die lange vorbei sind. Dafür ist die Spülung kaputt und das Klopapier alle. Eine überladene, langsame, hässliche App, die ständig irgendwelche Zusatzangebote verkaufen möchte. Twitter geht gerade den gleichen Weg. Mit allen Mitteln wird versucht, Twitter Blue zu verkaufen, also für ein Produkt Geld zu verlangen, das seit langer Zeit kostenlos ist und das gerade effektiv schlechter gemacht wurde.
Der Grund dafür, dass diese Enshittification voranschreitet, liegt in der Monopolstellung, die viele der Plattformen, die davon jetzt zerstört werden, einnehmen. Zu Beginn des Lebenszyklus geht es immer darum, so viele User:innen wie möglich mit einer nutzerfreundlichen und innovativen Technik an sich zu binden. Die Plattformen zeigen sich von ihrer allerbesten Seite. Doctorow illustriert diese erste Charmeoffensive am Beispiel Amazon:
“Wenn eine Plattform startet, braucht sie Nutzer, also macht sie sich für die Nutzer wertvoll. Man denke an Amazon: Das Unternehmen arbeitete viele Jahre lang mit Verlust und seinen Zugang zu den Kapital genutzt, um alles zu bezuschussen, was gekauft wurde. Es verkaufte Waren unter dem Selbstkostenpreis und lieferte sie unter dem Selbstkostenpreis aus. Es betrieb eine saubere und nützliche Suche. Wenn Sie nach einem Produkt suchten, tat Amazon sein Bestes, um es an die Spitze der Suchergebnisse zu setzen.”
Doch mit dem Monopol veränderte sich das langsam und dann sehr schnell, und zwar zuerst für die Verkäufer, die von der Plattform früh erpresst und ausgenutzt wurden, und dann auch für die Käufer, die heute einen Saustall an gesponserten oder eigenproduzierten Produkten vorfinden. Dabei geht es immer auch darum, die User:innen in den jeweiligen technischen Strukturen einzusperren. Netzwerkeffekte entfalten ihre Wirkung. Man kann nicht einfach jedes mal mit seinem gesamten professionellen und persönlichen Umfeld umziehen, wenn eine Plattform den Bach runter geht. Wenn Elon Musk jetzt z.B. Links auf Twitter zu Substack oder Mastodon sabotiert, dann geht es darum, die Nutzer:innen gegen andere Plattformen abzuschirmen. So entsteht eine Macht, die man unter den Voraussetzungen der Profitmaximierung kaum nicht missbrauchen kann.
Ed Zitron beschreib diesen Vorgang in einer Polemik für Business Insider: Die großen Tech-Firmen haben ihr Kernprodukt vernachlässigt, rennen nur noch irgendwelchen Trends hinterher, verfolgen eine toxische Wachstumsideologie und kurzfristige Gewinnchancen. Das beste Beispiel ist für ihn die Umbenennung Facebooks in Meta, die die katastrophale Hinwendung zu einem Meta-Verse markieren sollte, das einfach nie stattgefunden hat, trotz Milliarden-Investitionen. So entsteht das Bild einer müden, traurigen Branche.
Diese plattformübergreifenden Tendenzen werden gerade überschattet von spektakulären Ereignissen wie der Twitter-Übernahme durch Elon Musk oder dem drohenden Verbot von TikTok. Das kann aber von einem Eindruck des Müdewerdens der Plattformen nicht ablenken. Ein eigentümlicher schwerer Nebel legt sich atmosphärisch auf den digitalen Raum: Das Internet fühlt sich gerade seltsam an, irgendwie ranzig und angestaubt. Enshittification ist eben auch ein ästhetischer und emotionaler Vorgang. Der Tech-Backlash, der sich schon seit längerer Zeit vollzieht, kommt langsam an seinen Explosionspunkt. Wir erkennen, dass die Menschen und Formen, die die kommunikative Infrastruktur, die wir seit Jahren nutzen, und auf die wir angewiesen sind, moralisch und intellektuelle vollkommen entkernt sind. Was eine gewisse Traurigkeit erzeugt, ist die zusätzliche Erkenntnis, dass sie die Macht haben, die digitalen Bindungen, die Menschen trotzdem aufgebaut haben, zu zerstören.
(Vielen Dank an Nils Pooker für das K.I. Bild.)
Ein guter Webcomic
Weil sich Tweets auf Substack nicht mehr einbetten lassen, muss man nun auf diesen Link klicken.
Self-Care!
Jede noch so enge und harmonische Beziehung zwischen Menschen ist von ständigen Machtkämpfen durchzogen. Das liegt daran, dass individuelle Interessen so gut wie nie vollständig deckungsgleich sind (es wäre seltsam und gruselig, wenn es so wäre) und Menschen ständig unterschiedliche Dinge wollen. Unsere Interessen sind in einem ständigen Widerstreit und die grundsätzliche Frage “Wer setzt sich mit seinen Interessen durch” bezeichnet einen klassischen Machtkampf. Das an sich ist keine besonders originelle oder schockierende Erkenntnis. Kulturwissenschaftlich interessant wird es dort, wo sich die Rhetorik verändert, in der diese alltäglichen Machtkämpfe ausgefochten werden.
In diesem viralen Artikel der letzte Woche in Bustle erschienen ist, geht es um die Art und Weise, wie Versatzstücke des zeitgenössischen therapeutischen Diskurses wie “self-care” oder “boundary” immer mehr in die Alltagssprache einsickern und dort verwendet werden, um dem eigenen Umfeld teilweise ziemlich brutal den eigenen Willen aufzuzwingen. Die Sprache, die in den geschilderten Fällen entsteht, erinnert verdächtig an die kalte Sprache von Personalabteilungen. Interessant ist dieser Artikel vor allem, weil er zeigt, wie stark die Aushandlungsprozesse, die soziale Bindungen strukturieren, auf einen übergeordneten theoretischen Rahmen angewiesen sind. In diesem Fall ist dieser Rahmen der zeitgenössische therapeutische Diskurs, der dann in Versatzstücken und Vulgarisierungen in konkreten Konflikten zum Einsatz kommt.
Ich erinnere mich noch daran, wie in den Sozialen Netzwerken in Konflikten oft der Vorwurf des “Gaslightings” verwendet wurde, um andere Konflikteilnehmer:innen zu delegitimieren. Es handelt sich um ein wichtiges psychologisches Konzept, das vor allem dazu verwendet wird, um eine bestimmte Form mentaler Gewalt gegen Frauen zu beschreiben. In seiner vulgarisierten Form kann es im Alltag allerdings auch als Waffe eingesetzt werden, um Konflikte auszutragen. Eine Meinung oder das Interesse einer Person, das vom eigenen abweicht, ist dann nicht nur die Quelle des Konflikts, sondern sofort auch eine Form psychologischer Gewalt. Diese Art, Versatzstücke des therapeutischen Diskurses zu instrumentalisieren, ist natürlich nicht neu und die Vorgänge, die in dem Artikel beschrieben werden, bezeichnen auch keine neue Qualität - aber es ist immer interessant zu beobachten, dass die Geschichte der Emotionen auch einer Rhetorik des Konflikts folgt.
Vermischtes Unkraut aus dem literarischen Feld
Im letzten Newsletter habe ich darüber berichtet, dass es große Aufregung über einen Tweet gab, der davon berichtete, dass man beim Tagesspiegel 90 Euro für einen Feuilletonaufmacher bekommt. Nun machte ein Tweet die Runde, in dem eine Journalistin darüber berichtet, dass sie bei der New York Times 250 Dollar für einen Artikel bekommen hat. Anlass war die Nachricht der Zeitungsgewerkschaft, dass die C.E.O.s fürstliche Gehälter von bis zu 8 Millionen Dollar verdient haben. Ebenfalls für verärgerte Reaktionen sorgte ein Artikel in der tageszeitung, in dem das Gedankenspiel eines Journalistenstreiks durchgespielt wurde. In einigen Tweets wurde auf die extrem geringen Honorare hingewiesen, die die Zeitung bezahlt. Außerdem: Eine Youtuberin hat ein Buch darüber geschrieben, warum Klassiker nicht mehr gelesen werden und einen Gegenkanon aufgestellt. Und der Lyrikstreit, der gerade durch den Betrieb geht, wird weitergeführt und hat es inzwischen auch die die SZ, in die FAZ und in die FR geschafft.
Die guten Texte
In der New Republic findet sich eine Bestandaufnahme der Katastrophe, die die Twitter-Übernahme durch Elon Musk nach wie vor ist.
Ein schon etwas älterer Text des Autors Alexander Chee über seine Zeit als Caterer bei der Ikone des intellektuellen Rechtskonservatismus William F. Buckley Jr.
Warum löst die Lektüre von Der Zauberberg bei dieser Autorin einen Anfall von Selbstzweifel aus? Ein spannender Essay über Lesescham.
Die guten Tweets
https://twitter.com/Unwise_Trousers/status/1641213628039958531?s=20
https://twitter.com/HomoFabser/status/1643610553535832070?s=20
https://twitter.com/hausofdecline/status/1642322418936029184?s=20
Ein sehr spannendes Buch, für das die Autorin verklagt wurde
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