Der Ad-Blocker hasst schlechte Nachrichten
Kultur & Kontroverse ist ein Newsletter, in dem ich über kulturelle Konflikte der Gegenwart schreiben möchte. Die spannendsten Konflikte finden heute im medienübergreifenden, oft digitalen Getümmel statt.
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Worum es heute nicht geht
Ich gebe gerade ein Seminar zu Literaturskandalen der Gegenwart und werde heute den Studierenden die frohlockende Botschaft überbringen, dass mitten im Semester neuer Gesprächsstoff entstanden ist - ein waschechter Literaturskandal, in dem es um Institutionen, Macht, Öffentlichkeit und am Rande auch um Literatur geht. Gemeint ist natürlich das offenbar extrem peinliche und unangenehme Gerangel um das PEN Zentrum Deutschland, das sich gerade in einem schrecklichen Streit selbst zerlegt hat. Eine Presseschau zur "Schlammschlacht von Gotha" gibt es drüben beim Perlentaucher. Als sich Mitte März die ersten Anzeichen verdichteten, dass es im PEN großen Ärger geben würde, twitterte ich:
Man kann jetzt schon sagen, ich wurde nicht enttäuscht, aber bisher hat sich eben auch über das reine Spektakel hinaus noch kein kulturwissenschaftlicher Mehrwert ergeben. Falls mir noch einmal etwas einfällt, schreibe ich darüber, aber manche Skandale sind eben dann doch nur ein lautes Brausen, das den Diskurs beschädigt und alle Beteiligten müde zurücklässt.
Allerdings handelt es sich um eine gute Gelegenheit, um daran zu erinnern, dass der PEN in den letzten Jahren offenbar nichts besseres zu tun hatte, als sich mutig vor Lisa Eckhart zu stellen und die Studierenden der Alice-Salomon-Hochschule zu beschimpfen, die ein Problem mit einem Gedicht an der Fassade ihrer Uni hatten. Hier eine wirklich bedenkenswerte Sammlung von O-Tönen, die der PEN keineswegs verheimlicht hatte, sondern sogar stolz auf der eigenen Internetseite veröffentlichte:
„Wirklich skandalös an diesem barbarischen Schwachsinn eines AStA ist: Die Alice-Salomon-Hochschule Berlin ist eine Fachhochschule mit den Schwerpunkten Erziehung und Bildung, d.h. diese Kulturstürmer werden einst den Nachwuchs ausbilden“, so der Ehrenpräsident des deutschen PEN, Christoph Hein. „Uwe Bettig, der Rektor der Alice-Salomon-Hochschule Berlin, hält das Gedicht und die Anbringung auf der Fassade zwar für ein gelungenes Kunstwerk, will aber ‚die kritischen Stimmen der Studierenden ernst nehmen und diesen Rechnung tragen‘. Herr Bettig hat als Rektor einer Hochschule für Erziehung und Bildung einen gesellschaftlichen Auftrag: Er hat den Studierenden etwas von Erziehung und Bildung zu vermitteln und nicht deren unerzogene Unbildung zu respektieren. Er hat die Erzieher von morgen auszubilden und nicht deren Kultur- und Bildungsferne ernst zu nehmen und gar ihr zu folgen.“
Kein weiteres Wort übrigens auch zu den Tellkamp Festspielen, die erwartungsgemäß ihren Lauf genommen haben. Hier allerdings noch eine wichtige Beobachtung:
The Winner takes it all!
Ist der Kulturmarkt ein Oligopol? Den Begriff definiert Wikipedia als "eine Marktform, die durch wenige Marktteilnehmer gekennzeichnet ist". Dieser spannende Text zeigt anhand einiger Zahlen, dass in den Bereichen Film, Musik, Buch etc. immer weniger große Unternehmen und Franchises immer mehr Marktmacht auf sich konzentrieren können. Am deutlichsten wird das im Bereich Film: "Bis zum Jahr 2000 waren etwa 25 % der umsatzstärksten Filme Prequels, Fortsetzungen, Spinoffs, Remakes, Reboots oder Erweiterungen des Filmuniversums. Seit 2010 sind es jedes Jahr über 50 %. In den letzten Jahren waren es sogar fast 100 %."
Ähnliche Mechanismen lassen sich, wie der Artikel zeigt, auch für den Buchmarkt beobachten. Das passt zu der Beobachtung, dass das kulturelle Mittelfeld in den letzten 20 Jahren immer mehr ausgetrocknet ist. Gemeint sind Künstler*innen, die mit ihrer Kunst nicht reich werden, aber einigermaßen davon leben können. Wir bewegen uns, wie es scheint, immer mehr auf eine reine Winner-takes-all-Kulturökonomie zu. In einer solchen Ökonomie gibt es die wenigen Glücklichen an der Spitze, die einen Großteil der Aufmerksamkeit und Finanzmittel besitzen und eine große Menge an weniger Glücklichen, die Kunst nur noch nebenher oder als Hobby betreiben können.
Ein gutes Webcomic
Revenge of the Ad-blocker
Dieser extrem spannende Essay erklärt, wie Werbung im Internet funktioniert. Besonders interessant fand ich das Konzept des "Ad-blocking", das in diesem Fall nicht die Software meint, mit der man im eigenen Browser Werbung blockt, sondern eine Strategie der Unternehmen, nicht neben unangenehmem oder unangemessenem Content auf Nachrichtenseiten Werbung zu schalten. Was das für die Medien bedeutet kann man sich vorstellen. Anscheinend haben Nachrichtenseiten in Großbritannien in den ersten Monaten der Pandemie um die 50 Millionen Pfund verloren, weil niemand neben Artikeln über ein tödliches Virus Werbung schalten wollte. Ähnliches gilt erwartungsgemäß auch für die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine:
"Zeitungen ordnen ihre Inhalte in der Regel in große Kategorien ein: 'Nachrichten', 'Politik', 'Sport', 'Reisen'. Einige Anzeigenkunden erlauben einfach nicht, dass ihre Anzeigen neben 'Nachrichten' erscheinen. Im November letzten Jahres zum Beispiel entschied sich die Redaktion einer großen britischen Zeitung vernünftigerweise dafür, ihre Berichterstattung über die COP26 nicht unter 'Umwelt', sondern unter 'Nachrichten' oder 'Politik' einzuordnen. Die Folge war, dass die Werbung neben diesen Berichten fast vollständig ausblieb. Wie ich höre, ist die Sperrung von 'Nachrichten' im Moment besonders weit verbreitet, weil so ausführlich über den Krieg in der Ukraine berichtet wird."
Die Medien achten zwar auch selber darauf, keine Werbung neben Artikeln zu schalten, bei denen das unangemessen wäre, aber die Angst vor dem context collapse steckt vielen in den Knochen. Vor einigen Wochen stand etwa eine besonders schlecht getimete Werbung für die Restaurantkette Applebee’s in der Kritik, die direkt an den Bericht über den Beginn des Krieges anschloss. Der spezifische positive Ton von Werbung scheint sich grundsätzlich nicht mit der ernsten, auf schlimme Ereignisse ausgerichteten Atmosphäre der Nachrichten zu vertragen. Hier stehen zwei Aufmerksamkeitsökonomien in einem denkbar großen Widerspruch zueinander.
Welche Implikationen das für das Mediensystem hat, kann man kaum überblicken. Es stellt in jedem Fall ein Problem dar, wenn eine der wichtigsten Quellen der Finanzierung ein Problem mit dem Kerngeschäft der Institution hat, die sie finanziert. Werbung braucht Aufmerksamkeit und Nachrichte erzeugen Aufmerksamkeit. Allerdings - das zeigt der Fall der Applebee’s Werbung - ist das nicht immer gut. Viele Werbefirmen haben deswegen inzwischen Blocklisten für bestimmte Wörter, die einen Artikel automatisch für Anzeigen blocken. Diese Wörter sind auch kulturwissenschaftlich sehr interessant, weil sie eine Art Psychogramm des Gegenwartsdiskurses vermitteln:
"Im Juni 2017 veröffentlichte der Verifizierungsanbieter Integral Ad Science eine Liste der zwanzig am häufigsten gesperrten Begriffe zu diesem Zeitpunkt. An erster Stelle stand 'Explosion', dann 'Terror'. Weitere Begriffe waren 'tot', 'schießen', 'Waffe' und 'töten'. Der Inlandsterrorismus scheint der erste Grund für die Aufnahme dieser Wörter in die Sperrlisten gewesen zu sein, aber heute blockieren wahrscheinlich dieselben Wörter die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine."
Bedeutet das, dass die Berichterstattung über schreckliche Dinge für Medien bald nicht mehr zu finanzieren ist? Es wäre jedenfalls ein echtes Problem, wenn diese Blocklisten nach und nach beginnen würden, die Texte selbst zu beeinflussen - als eine Art Paratext, der die Problemwörter verbietet und ausschließt.
Die guten Texte
Steffen Martus hat im aktuellen "Merkur" den Skandal um Bothos Strauß Essay "Anschwellender Bocksgesang" noch einmal analysiert und mit der Programmatik der Popliteratur parallel gelesen. Forensik kennt man aus Filmen und Serien als die Wissenschaft, die die Täter*innen überführt, allerdings hat sie im realen Leben große Probleme, wie dieser Bericht zeigt. Und ein deprimierender Artikel darüber, wie erfolgreich die Chinesische Regierung dabei ist, junge Menschen zu einem toxischen Nationalismus zu sozialisieren.
Und: ein Song.
Die guten Tweets
[tweet https://twitter.com/elhotzo/status/1525834038031818752]