Christmas Reading 2022
Was man lesen kann
Für die Leser:innen von “Kultur & Kontroverse” habe ich eine Liste von neuen und alten Büchern zusammengestellt, die man über die Feiertage lesen kann. Enjoy.
Ein Sachbuch
Schon auf den ersten 10 Seiten von Walt Bogdanichs and Michael Forsythes Buch “When McKinsey Comes to Town” sterben mehrere Menschen. Neoliberalismus erscheint in dieser Analyse der Unternehmsberatung McKinsey als tödliche Angelegenheit. Das Buch untersucht den Einfluss McKinseys auf verschiedene Bereiche der Gesellschaft, und erzählt gleichzeitig eine Geschichte des Spätkapitalismus.
Ein politisches Buch
Rebecca Giblins und Cory Doctorows Buch “Chokepoint Capitalism” hat mich bei der Lektüre ziemlich wütend gemacht. Über die Art und Weise, wie die Gatekeeper der Kreativindustrie Künstler:innen ausbeuten, muss man hier oft mit den den Zähnen knirschen. Als Hauptproblem machen die Autor:innen vor allem die Monopole von Tech Giganten wie Amazon oder Apple aus, die ihre Macht dazu nutzen, um auf eine freche Art die Gewinne, die Menschen mit ihrer Kunst erzeugen, abzuschöpfen. In der zweiten Hälfte des Buches werden Vorschläge gemacht, wie man sich gegen diese Monopole zur Wehr setzen kann. Ein wichtiges Buch, das hoffentlich bald ins Deutsche übersetzt wird
Ein modernen Klassiker
Dona Tartts Roman “Die geheime Geschichte” (“The Secret History”) von 1992 hat in den letzten Jahren durch die Beliebtheit der “Dark Academia”-Ästhetik eine Renaissance erlebt. So richtig in Vergessenheit war das Buch aber nie geraten. 2021 gab es einen tratschigen Podcast über die Zeit der Autorin am Bennington College, wo sie mit Bret Easton Ellis und Jonathan Lethem studierte. Im gleichen Jahr gab es einen langen Artikel im “New Yorker”, der sich mit dem Vorbild der Figur des charismatischen Lehrers Julian Morrow befasste. Es lohnt sich auf jeden Fall immer, diesen extrem spannenden Roman zu lesen, der den akademischen Ethos der Elitebildung meisterhaft aufbaut, um ihn dann brutal zu dekonstruieren.
Noch ein moderner Klassiker
Dieses Jahr habe ich die 2021 verstorbene Journalistin Janet Malcolm für mich entdeckt, die vor allem durch ihre Essays berühmt geworden ist. Zu empfehlen ist etwa die Sammlung “Nobodys Looking at you” von 2019, die vor allem Porträts von Menschen wie der Modedesignerin Eileen Fisher oder der Pianistin Yuju Wang enthält. Besonders spannend, gerade für den kulturellen Moment, in dem wir leben, fand ich aber “The Journalist and the Murderer”, eine buchlange Meta-Reportage über einen True-Crime Autor, der von einer Figur verklagt wurde - eine brillante und boshafte Untersuchung der Art, wie Journalist:innen andere Menschen für spannende Geschichte instrumentalisieren.
Eine Essaysammlung
Patrick Radden-Keefe hat sich durch Bücher wie “Say Nothing” über den Nordirlandkonflikt oder “Empire of Pain” über die Opioidkrise in den USA zu einem meiner absoluten Lieblingsautoren entwickelt. Diese Bücher sind in einem ruhigen, fast lakonischen Stil geschrieben, dabei aber so gut geplottet, dass man sie nicht weglegen kann. Sie halten sich mit expliziten Werturteilen zwar zurück, sind aber - durch die tiefen Recherchen - oft vernichtend in ihrer Kritik. Auch das neue Buch von Radden-Keefe, “Rogues: True Stories of Grifters, Killers, Rebels and Crooks”, eine Essaysammlung über politisch unangenehme Figuren der Gegenwart, ist wieder sehr spannend und unbedingt lesenswert.
Ein Gegenwartsroman
Der Roman “Automaton” meiner guten Freundin Berit Glanz verlegt das Szenario von Hitchcocks “Das Fenster zum Hof” in die digitale Gegenwart. Eine Gruppe von prekär arbeitenden Klickworker:innen beobachtet, wie ein mögliches Verbrechen geschieht. Ein Roman über die Schrecken der virtuellen Arbeit und die Möglichkeiten von Solidarität in der Gegenwart.
Außerdem
Ein gutes kulturwissenschaftliches Buch ist Wolfgang Ullrichs "Die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie”, ein gutes literaturwissenschaftliches Buch ist Moritz Baßlers “Populärer Realismus”. Extrem lachen musste ich über Hasan Minhajs Comedy Special “The King's Jester”, extrem deprimiert hat mich John Fords Western-Klassiker “The Searchers”, verstörend auch der Film “The Sweet Smell of Success”, der in der aktuellen Aufmerksamkeitsökonomie erstaunlich aktuell wirkt. Als Comfort Binge eigneten sich die neuen Staffeln von “Inside Job” und “Somebody please feed Phil”. Ein guter Podcast war “The Prince” über Xi Jingping. Aber auch “Slate Money” und “The Content Mines” habe ich regelmäßig gehört. Apropos hören: Songs, die mir dieses Jahr sehr gut gefallen haben, habe ich in der Playlist von “Kultur & Kontroverse” gesammelt.