Bonusausgabe: Die Fremdscham der literarischen Sexszene
Kultur & Kontroverse ist ein Newsletter, in dem ich über kulturelle Konflikte der Gegenwart schreiben möchte. Die spannendsten Konflikte finden heute im medienübergreifenden, oft digitalen Getümmel statt. Wer sich für Streitereien und Debatten über Bücher, Filme, Musik, Serien und viele andere Dinge, die uns entzweien, interessiert, der ist hier an der richtigen Stelle.
Anfang Oktober erschien der neue Roman von Jonathan Franzen, Crossroads. Ich habe das Buch hier besprochen; es hat mir nicht gefallen. Vor allem der Stil erschien mir – im Gegensatz zu früheren Werken – sehr undiszipliniert. Die Prosa liest sich gestelzt und umständlich, überschreitet ständig die Grenze zum Klischee. Wo dieses Ärgernis aber in den Bereich des Absurden kippt, sind die zahlreichen Sexszenen in Crossroads. Gegen Sex in der Literatur ist natürlich nichts einzuwenden, aber es gab nicht umsonst bereits einen „Bad Sex in Fiction Award“, für den Franzen auch schon einmal nominiert war. Sex in Literatur reizt oft zur Fremdscham und weil ich mit diesem Gefühl nicht allein sein möchte, biete ich hier eine Auswahl der besten Stellen aus Crossroads zur Lektüre. (Achtung: teilweise recht drastisch).
„Und ehe er sich’s versah, blickte er zu einem vollständig nackten Mädchen hoch, das er vielleicht Stück für Stück, mit viel Um-Erlaubnis-Bitten, über einen Zeitraum von Wochen oder Monaten ausziehen zu dürfen gehofft hatte.“
„Eine Vulva zu lecken hatte er nicht im Entferntesten auf dem Radar gehabt.“
„Das Einzige, was schöner war, als ihre Vulva zu sehen, zu riechen und zu lecken, war der Moment, wenn er seinen Penis dort hineinstecken durfte; und darin lag das Problem.“
„Seine erste Fellatio-Erfahrung machte er an einem Morgen, als er in Römischer Geschichte hätte sitzen sollen.“
„Auf die Zwischenprüfung in Zellbiologie bereitete er sich nicht vor, weil es in dem Moment schöner war, seinen Penis in Sharons Vulva zu stecken, als zu lernen.“
„Er ahnte, dass seine Identität in diesem Haus sich unter dem Strich darauf belief, der Typ zu sein, der die Kleine im dritten Stock bumste, was einer guten Zusammenfassung unangenehm nahe kam.“
„Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um einen Kuss zu bekommen, für den er sich hinunterbeugte. Er nahm einen aufregenden, katzenfuttrigen Hauch zersetzten Spermas von seinen diversen Montagsabsonderungen in ihr wahr.“
„Während er ihr die Schlafanzughose herunterzog, rückte er näher, um besser sehen zu können. Oh, die Schönheit dessen, was er da enthüllte! Dieser unerschöpfliche Reiz!“
„Clem verweilte, um seine Zunge so weit wie möglich in sie hineinzuschieben, zu schmecken, was sein Penis nicht schmecken konnte, und richtete sich dann auf, um ihr in die Augen zu schauen.“
„Und hier war sie nun und machte die Beine breit für einen verheirateten Mann.“
„Er schlich aus dem Bett, sich seiner selbst in der Dunkelheit des Pfarrhauses umso deutlicher bewusst, und stattete dem Bad einen onanistischen Besuch ab. Im Waschbecken landete konkretes Beweismaterial für Sallys Beschwerde gegen ihn.“
„Es war interessant festzustellen, dass das Sandwich verlockender aussah, als seine Tränen versiegt waren. Er hätte auch gern eine geraucht. Es waren die gleichen Gelüste, die sich nach einem Orgasmus zurückmeldeten.“
„‚Also, ich war mit einem Mädchen zusammen. Einer Frau. Es war absolut unglaublich.‘ Seine Mutter riss die Augen auf, als hätte er sie mit einer Nadel gepikst.“
„Eine Spannung, die bislang nur in verstörenden Träumen existiert hatte, Träumen, die zu apokalyptischer Hitze anschwollen und mit der Besudelung seiner Schlafanzughose platzten, hatte auf die Welt übergegriffen, in der er wach war.“
„Doch sich in den Körper einer Frau zu ergießen, mit der er nicht verheiratet war, sich in ihrem Fleisch zu verlieren, in ihren ganz persönlichen Aromen zu schwelgen, war eindeutig etwas anderes.“
„Doch nachdem ihn die kulminierende Lust durchströmt hatte, war er wieder ein schwitzender Sünder unter einer Sünderin.“
„Im flackernden Licht kam ein Paar Lippen in Sicht. Und, oh, wie weich sie waren. Sie zu küssen war so ungeheuer intim, dass er es mit der Angst zu tun bekam, wie ein Sterblicher im Angesicht der Ewigkeit.“
„Er drückte ihren zarten Kopf an seine Brust, und in seinen langen Unterhosen manifestierte sich das Testosteron.“
„Mit einem Seufzer schloss sie die Augen und fasste ihm zwischen die Beine. Ihre Schultern entspannten sich, als machte es sie schläfrig, seinen Penis zu fühlen.“
„In seinem Wahn wagte er es, mit dem Handrücken am offenen Reißverschluss entlangschabend, ihr Schamhaar zu teilen. Sie spannte sich an und sagte: ‚O Gott.‘“
„Er öffnete seine Hose.“
„‚Meine Güte, Pfarrer Hildebrandt. Der ist aber ziemlich groß.“
„Der Erfolgsrausch war so titanisch gewesen, dass Perry sich eine das Firmament auslöschende Ejakulation vorgestellt hatte.“
„Sie öffnete die Augen und sah in denen von Russ eine Erinnerung an die orgasmische junge Frau von damals schimmern. Diese Frau hatte ihm gefallen, o ja, das hatte sie.“